Die Entwicklung des Wolkenkratzers in Chicago - Ein Rundgang

Von Claudia Simone Hoff

Der folgende Rundgang findet statt, um die Reisenden mit den Anfängen der modernen Architektur in Chicago vertraut zu machen und ihnen wichtiges Grundwissen zu vermitteln. Die technischen und historischen Voraussetzungen zur Entstehung der Chicago School werden ebenso erläutert wie die Besonderheiten der einzelnen Gebäude. Der Rundgang konzentriert sich auf das Gebiet des Loops. Natürlich konnten nicht alle Gebäude, die sich im Loop befinden, im Rundgang berücksichtigt werden, deshalb musste eine Auswahl getroffen werden. Ausgesucht wurden Gebäude, die bahnbrechend für die Entwicklung des modernen Hochhausbaus waren und gleichzeitig die Riege der berühmten Chicagoer Architekten am Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts abdecken. Die Zeitspanne der präsentierten Gebäude beläuft sich von etwa 1880 bis in die 1920er Jahre, dem Ende der eigentlichen Chicago School. Teilweise werden auch Gebäude mit in den Rundgang einbezogen, die bereits abgerissen wurden oder zerstört sind, aber aufgrund ihrer Bedeutung für die Entwicklung der Chicago School unbedingt berücksichtigt werden müssen.

Unter dem Begriff der Chicago School fasst man eine Gruppe von Architekten zusammen, die etwa im letzten Viertel des 19.Jahrhunderts in Chicago tätig waren. Natürlich kann man nicht von einem homogenen Architekturstil sprechen, sondern verschiedene, oft gegensätzliche Stile existierten nebeneinander und beeinflussten sich gegenseitig. Die Chicago School trennte sich in den 80er Jahren des 19.Jahrhunderts, grob vereinfacht dargestellt, in zwei Richtungen. Auf der einen Seite wurde die Form ausschließlich in Zwecklösungen gesucht, die weitgehend für sich selbst sprachen. Das Ergebnis waren streng gegliederte und in Raster aufgeteilte Fassaden mit feinen unaufdringlichen Details. Zu diesen Architekten gehörten der Begründer der Chicago School, William Le Baron Jenney mit seinem Ersten und Zweiten Leiter-Building sowie Holabird und Roche mit dem Marquette, (Gage) und Crown Building. Die zweite Richtung setzte sich aus Architekten zusammen, die den Ausdruck in eher plastischen Formen bevorzugten. Herausragender Vertreter dieser Richtung war Louis Henry Sullivan, dessen Gebäude sich durch das von ihm entwickelte Ornament, die Verbindung geradliniger und runder Elemente sowie durch stark texturiertes, farbiges Material auszeichnen. Andere Architekten dieser Richtung waren John Wellburn Root mit seinem Monadnock Building und Atwoods und Burnhams Reliance Building. Fast sämtliche hier erwähnten Gebäude werden wir auf dem Rundgang sehen.

Den Architekten der Chicago School kommt der Verdienst zu, die Konstruktionsweise des Metallskeletts zur Grundlage der modernen (Architektur-)Ästhetik gemacht zu haben. Ornamente haben in diesem Zusammenhang keine tektonische Aufgabe mehr, sondern dienen nur noch zur Ausschmückung des Gebäudes. Vorausgreifend ist zu sagen, dass das Ende der Chicago School mit der Weltausstellung von 1893 ihren Anfang nahm. In den 20er Jahren dieses Jahrhunderts ist eine Rückwendung zum tradierten Vokabular des Historismus und der europäischen "Beaux-Arts-Bewegung" zu beobachten. Die Chicago School hatte ihre Vorrangstellung verloren. Dieser Punkt wird mit dem Wrigley Building und dem Tribune Tower am Ende des Rundgangs veranschaulicht werden. Zur besseren geographischen Orientierung der Gruppe werden auch der Sears Tower und Marina City in den Rundgang einbezogen, allerdings nur kurz abgehandelt, denn auf der Reise wird es zusätzlich eine Rundfahrt zum Thema "Bauten der Moderne" geben.

Der Rundgang beginnt am Hilton & Towers Hotel.

Nach 350 m entlang der South Michigan Avenue in Richtung Norden sehen wir auf der linken Seite das Auditorium Building von Dankmar Adler und Louis Henry Sullivan. Letzterer ist eine der herausragenden Personen der Architektur des ausgehenden 19. und des beginnenden 20.Jahrhunderts und übte großen Einfluss auf die moderne Architektur aus. Er gehörte zu den Hauptvertretern der Chicago School. Ein Echo auf Sullivans Tod 1925 erfolgte besonders in Europa (vgl. Wettbewerbsbeiträge der europäischen Architekten beim Chicago Tribune Tower Wettbewerb 1922), wohingegen seine Bedeutung in Amerika lange unterschätzt wurde, denn in den 20er Jahren dieses Jahrhunderts setzte man dort auf historisierende Stile, die Sullivan vehement bekämpft hatte (vgl. auch die Weltausstellung 1893). Die Architekten Ludwig Hilbersheimer, Bruno Taut und Siegfried Giedion sahen in Sullivan den Vorläufer einer rational begründeten Auffassung von Architektur, blendeten aber seine Ornamentik aus und erhoben ihre Interpretation von Sullivans berühmten Satz "form follows function" zum Dogma der modernen Architektur. Um Sullivans Werk zu deuten, werden auch Werke anderer Architekten der Chicago School herangezogen, um Sullivans Quellen zu verdeutlichen, aber auch das Innovative seiner Architektur herauszustellen. Soweit bei der Kürze der Darstellung möglich, werden zur Unterstützung der direkten Aussage der Bauten auch Aspekte der zahlreichen theoretischen Schriften des Architekten herangezogen.

Nach dem Architekturstudium und dem Besuch der Pariser Ecole des Beaux Arts, eröffnete der beim Begründer der Chicago School William Le Baron Jenney ausgebildete Sullivan 1881 mit seinem deutschstämmigen Partner Dankmar Adler ein Architekturbüro, das die nächsten Jahre viele wichtige Aufträge (auch in anderen amerikanischen Großstädten wie Buffalo und St. Louis) erhielt. Die bedeutensten in Chicago sind das Auditorium Building, das Schiller Building, die Chicagoer Börse und das Transportation Building für die Chicagoer Weltausstellung von 1893. Nur das erst genannte Gebäude blieb erhalten.

Nicht zu übersehen ist in einigen Werken Sullivans und Adlers der Einfluss von Henry Hobson Richardsons Marshall and Field Warehouse, das 1885-87 entstand. Das noch aus soliden, selbsttragenden Mauerwerkswänden mit im Inneren befindlicher Skelettkonstruktion bestehende siebenstöckige Gebäude zeichnete sich durch seine geometrisch angelegte Massigkeit bzw. Blockhaftigkeit aus. Diese entstand vor allem durch das Muster und die Anordnung der Fenster, die in den verschiedenen Stockwerken zwar verschieden hoch und geformt waren, aber immer die gleiche Breite aufwiesen und durch Bögen zusammengefasst wurden. Die Wirkung eines massigen Baublocks verstärkten auch die bossierten Steinquader und die gemauerten Bögen der Fenster. Das der Romanik entlehnte Motiv des Rundbogens (der Fenster an der Fassade) machte in der Folgezeit Schule in Chicago, wie wir am Beispiel Sullivans noch sehen werden.

Um 1887 beschäftigte sich das Architektengespann Adler & Sullivan mit seinem größten Auftrag, der ihnen viel Popularität einbrachte, und vor dem wir nun stehen. Es handelt sich um ein Hotel-, Büro- und Theatergebäude. Heute ist hier im Auditorium Building die Roosevelt University untergebracht, das Theater hingegen ist noch in Betrieb. An Sullivans Vorzeichnungen für den Bau und dem schliesslich ausgeführten Entwurf lässt sich Richardsons Einflussnahme feststellen. Waren die ersten Entwürfe noch stark ornamentiert und "verschnörkelt" mit vielen Türmen und Giebeln, so zeigt der ausgeführte Bau viele Merkmale des Marshall and Field Warehouse. Hervorstechenstes Merkmal ist die Massigkeit und Horizontalität des riesigen Gebäudes, dem nur der 17-stöckige Turm entgegenwirkt. Das wuchtige bossierte Granitsteingesims verstärkt diesen Eindruck noch. Die Fensterreihen sind vertikal angeordnet und werden teilweise durch ein übergreifendes Bogenmotiv zu einer Einheit zusammengefasst. Das abschließende Mezzanin ist als Zwergumgang gestaltet. In ähnlicher Weise wurde dies auch an Richardsons Bau verwirklicht. Aufgrund der Schwere des Baus und der Nähe zum Lake Michigan (hinter uns gelegen) musste ein von Adler konstruiertes, wasserdichtes Fundament verwendet werden. Die äußeren Wände des Gebäudes sind noch selbsttragend, was durch die Dicke der Mauern im unteren Teil des Baus verdeutlicht wird. Alle anderen konstruktiven Elemente, die innenliegenden Säulen, Träger und Binder waren aus Eisen. Das zehngeschossige Gebäude steht in seiner Entwicklung zwischen den älteren Formen von Richardsons Mauerwerkskonstruktionen und den leichteren Formen der Eisenskelettkonstruktion.

Betreten wir nun das Gebäude. Durch den Turm gelangen wir in den Zuschauerraum des Theaters. Die Sitzkapazität der ansteigenden Zuschauerränge beträgt 4.237, die Akustik ist hervorragend, u.a. durch die konzentrischen Bögen zur Bühne hin, einem der wichtigsten Dekorationsmerkmale Sullivans. Gold und Elfenbein sind die vorherrschenden Farben. Unter der Bühne des Theaters ist die gesamte technische Ausrüstung untergebracht, deshalb musste ein Stockwerk unter dem Wasserspiegel des Lake Michigan gebaut werden. Das Auditorium Theatre nimmt etwa die Hälfte der Gesamtfläche des Gebäudes ein. Zu den technischen Leistungen sind auch die elektrisch verstellbaren Wände zur Verkleinerung des Raumvolumens zu zählen.

Auch beim Auditorium Building taucht das Bogenmotiv immer wieder auf: An Türen und Fenstern der Fassade, in den konzentrischen Kreisen des Theatersaals, am tonnenüberwölbten Bankettsaal des Hotels. Ein Stilmerkmal der Architektur Sullivans ist beherrschend in der Innenausstattung: Sein selbst entwickeltes Ornament, das Wände, Säulen, Bögen und Geländer überzieht. Wichtig anzumerken ist, das die innere Funktion des Baus an der Fassade nicht abzulesen ist. Ein von seinen Funktionen stark gegliedertes Programm (Hotel, Theater, Büros) wird in einen außen einheitlichen Rechtkantblock eingebunden, der wenig Ornamentik aufweist.

Adlers und Sullivans größter Auftrag nach dem Auditorium Building war 1893/94 die Errichtung des Chicago Stock Exchange Buildings, der an der North La Salle Street gelegenen Börse, die 1972 abgerissen wurde. Das ehemalige Eingangstor und den Trading Room werden wir bei unserer Besichtigung des Art Institutes sehen, trotzdem schon jetzt ein paar einleitende Worte. Wie man sieht, finden zwei Merkmale der Chicago School bei diesem Bau Verwendung: Der Erker, der die Vertikale des Gebäudes akzentuiert und das dreiteilige Chicago window. Technisch gesehen ist der 13-geschossige Bau modern, d.h. in einer feuersicheren Stahlrahmen-Konstruktion ausgeführt. Erstmals wurde an einem Bau das aus dem Brückenbau stammende Chaisson-Fundament verwendet. Wie beim Auditorium Building handelte es sich um einen multifunktionalen Bau, der die Börse und Büros beherbergen sollte. Das zweite und dritte Stockwerk der Fassade bestanden aus Fensterarkaden, die den dahinter befindlichen doppelstöckigen Trading Room bereits an der Fassade sichtbar machten. Dieser Raum zeichnet sich vor allem durch die einfallsreiche, farblich subtil gestaltete, von Sullivan entworfene Ornamentik aus. Auch das rundbogige stark ornamentierte, leicht hervortretende Eingangsportal macht klar, dass das Erdgeschoss und das erste Geschoss miteinander verbunden waren und weist auf die gewölbte Decke des Eingangsvestibüls hin. Im Unterschied zum Auditorium Building finden wir bei der Börse an der Fassade Hinweise auf die innere Raumgestaltung.

Nachdem wir das Auditorium Building besichtigt haben, wenden wir uns seinem Nachbarbau zu, dem Fine Arts Building, ehemals Studebaker Building, das 1885/86 von Solon Spencer Beman, dem Planer der Modellstadt Pullman, entworfen wurde. Dieser alte Firmensitz von Studebaker war für die Ausstellung der Wagen zu klein geworden, so dass man beschloss, ihn zum Kulturzentrum umzufunktionieren und ihn in Fine Arts Building umbenannte. Über dem achten Stock entfernte man die Kuppeln und das Attikageschoss und setzte darauf einen dreigeschossigen Aufbau. In diesem Aufbau befanden sich sieben Meter hohe, durch Oberlichter beleuchtete Künstlerateliers. Eines davon nutzte Frank Lloyd Wright. Dieser entwarf auch den Buchladen im Erdgeschoss. Außerdem waren in dem Gebäude Büros untergebracht. Im zehnten Stock gab es einen Verbindungsgang zum benachbarten Speisesaal des eben besichtigten Auditorium Buildings. Außerdem kann man dort interessante Wandmalereien betrachten.

Die Gruppe biegt dann links in die East Van Buren Street ein und geht zum Leiter II Building von William Le Baron Jenney. Der als Ingenieur ausgebildete Jenney eröffnete 1868 ein Architekturbüro in Chicago, das zur Lehrwerkstatt der Chicago School werden sollte. Architekten wie Sullivan, Roche, Holabird und Burnham erhielten hier ihre Ausbildung. Als erstes Gebäude der Chicago School wird das 1879 gebaute und inzwischen zerstörte Erste Leiter Building Jenneys betrachtet. Es handelt sich um ein ursprünglich fünfstöckiges, später siebenstöckiges Warenhaus. Auf den ersten Blick konnte man den Käfig des Eisengerüsts erkennen: Große Fensteröffnungen (Vorläufer des Chicago windows) und schmale Mauerwerkspfeiler, die zwar von ihrer deckentragenden Funktion befreit waren, aber noch immer die eisernen Brüstungsbalken bzw. Träger trugen. Auf der Innenseite der Mauerwerkspfeiler wurden Eisenpilaster angebracht, um die hölzernen Deckenträger zu stützen. Das Gebäude wies nur wenige Ornamente im oberen Bereich der Mauerwerkspfeiler und am leicht hervortretenden Gesims auf. Insgesamt ist eine einheitliche, klare Gliederung des Baus zu beobachten, die durch den durchgehenden Rhythmus von breiten Fensterbändern und schmalen Pfeilern und Brüstungen entsteht. Bereits am Ende des 19.Jahrhunderts nahm Jenney die Direktheit und Simplizität der späteren modernen Hochhäuser vorweg.
Das vor uns stehende Zweite Leiter Building, von Jenney 1889-91 erbaut, ist ein riesiger rechteckiger Warenhausbau aus weißem Stein. Es handelt sich um die früheste Lösung des großen Skelettbaus, an dem es keine selbsttragenden Mauern mehr gibt. Der Rahmen wird zum unverdeckten Mittel des Ausdrucks. In seiner strukturellen Ökonomie ist dieses Warenhaus ein Musterbeispiel des commercial style in Chicago. Verzierungen fehlen fast vollständig. Zusammengehalten wird der Bau durch die an den Gebäudeecken plazierten wuchtigen Pfeiler. Die vertikalen Fenster werden von für Jenney typischen Säulen voneinander getrennt, auf jeweils zwei dreiteilige Fensterkompartimente erfolgt ein Pilaster. So entsteht die rhythmische Gliederung des Baus, ähnlich wie beim Ersten Leiter Building. Bei diesem werden die Basis und das abschließende Gesims weniger betont als beim später errichteten Bau.

Bevor das erste Gebäude mit einem vollkommenen Metallskelett (Zweites Leiter Building) errichtet werden konnte, versuchte sich Jenney auch in der Mischkonstruktion von selbsttragenden Mauern und Metallskelett. Zwischen dem Ersten Leiter Building und dem Zweiten Leiter Building entstand 1883-85 das Home Insurance Building, ein Bürohochhaus. Die Innen- und Außenwände wurden durch einen Rahmen aus Gusseisen und Stahl getragen. Diese Metallskelettkonstruktion setzte aber erst über der grob behauenen Steinbasis des neunstöckigen, später 11-stöckigen Gebäudes an. Im Vergleich mit dem Ersten und Zweiten Leiter Building ist das Home Insurance Building weniger klar und streng strukturiert. Ein Eingangsrisalit mit Säulen, die hervortretende, bossierte wuchtige Basis, verzierte Kapitelle, Brüstungen, Balkone und ein abschließendes Gesims mit Balustrade zerstreuen die Struktur und lassen die klare, unverschnörkelte Architektur der Leiter-Warenhäuser vermissen.

Wir biegen von der State Street rechts ab und gehen rechts in die Dearborn Street zum 1890 ebenfalls von Jenney entworfenen 16-geschossigen Manhattan Building. Das Gebäude wartet mit einer technischen Meisterleistung auf: Zu dieser Zeit war es eines der wenigen, die komplett mit einer Stahlskelettkonstruktion versehen war. Über einer dreigeschossigen Granit-Rustika sind neun Stockwerke aus leichteren Ziegelstein mit einer großen Pilasterordnung zusammengehalten. Darüber setzt eine dreigeschossige Rund-bogenfolge an. Ein schwer aufliegendes Mezzaningeschoss mit auskragendem Dachgesims schließt das Gebäude ab. Allerdings wirkt das Äußere des Baus durch die verschiedenen Fensterformen leicht verwirrend und unregelmäßig. Ein interessant verziertes, gusseisernes Element des Fahrstuhls des Gebäudes werden wir in der Architektur-Abteilung des Art Institutes sehen.

Gleich neben dem Manhattan Building liegt das Old Colony Building, das vier Jahre nach dem Manhattan Building 1894 von Holabird and Roche erbaut wurde. Die runde Ecklösung war ein von den Architekten oft gewähltes Element, aber hier handelt es sich um das einzig verbliebene Beispiel dieser Art. Der Vorteil dieser Konstruktion waren helle Innenräume und eine interessante Fassadengliederung. Backsteinmauern ummanteln den Stahlskelettrahmen. Neuartig waren die im Inneren angebrachten Bögen, die das Gebäude gegen starke Winde schützen sollen, eines der Hauptprobleme beim Bau von Hochhäusern mit Stahlskelett. Vertikal durchgehende Pilaster an der Fassade der Dearborn Street lassen das Gebäude in die Höhe streben und fassen die Stockwerke zusammen.


Etwa 100 m geradeaus liegt auf der linken Straßenseite der Monadnock Block, der 1888-91 errichtet wurde und dessen 16 Geschosse noch selbsttragend sind. Die Architekten des Gebäudenordteils waren Burnham und Root. Die innere Konstruktion wird von gusseisernen Säulen und gewalzten Trägern getragen. Man kann also festhalten, dass in Chicago, obwohl die komplette Metallkonstruktion schon erprobt war (Zweites Leiter Building), gleichzeitig noch Mischformen von selbsttragenden Mauerwerk und Skelett sowie reine Mauerwerkskonstruktionen Anwendung fanden. Es handelt sich aber beim Monadnock Building um den letzten der Hochbauten aus soliden Mauerwerk, denn aufgrund der benötigten Dicke der Mauern und der natürlich begrenzten Höhe des Gebäudes, stellte diese Konstruktionsform für die weitere Entwicklung des Hochhauses keine Lösung mehr dar. Der sich nach oben verjüngende Bau wird durch den Rhythmus der Erkerfenster mit den glatten Fassadenflächen bestimmt. Auffällig kompromisslos und modern anmutend ist die schmucklose Fassade. Das bis dahin freistehende Gebäude wurde von Holabird und Roche 1893 an einer Seite erweitert, allerdings benutzten sie anstelle des tragenden Mauerwerks ein verkleidetes Metallskelett. In einem Gebäude begegnet uns somit das Ende einer Bautradition (= selbsttragende Mauern) und der Beginn einer neuen (= Skelettrahmen). Wir wollen kurz einen Eindruck vom Inneren des Gebäudes gewinnen: Die längs verlaufende Lobby ist als Einkaufsstraße gestaltet.

Die Gruppe biegt jetzt links in den West Jackson Boulevard ab und geht ca. 300 m bis zur Chicago Board of Trade, einem 45-stöckigen Art-Déco-Wolkenkratzer der Architekten Holabird und Root. Die 1848 gegründete Börse organisiert den Getreidehandel. Seit 1930 ist sie in diesem Gebäude, verziert mit auffälligen Art- Déco-Ornamenten, beheimatet. Hinter der neun Stockwerke hohen Basis verbirgt sich der sechsstöckige Hauptraum (trading room), außen sichtbar durch die hohen Fenster. Zwei 13-stöckige Anbauten rechts und links über der Basis lassen in der Mitte ein set back entstehen. Bekrönt wird der Bau von der 9,5 m hohen Aluminiumstatue der Ceres, ihrerseits römische Göttin des Ackerbaus und gestaltet vom Bildhauer John H. Storrs. Auch diese trägt zur starken Akzentuierung der Vertikalen bei. Die dreistöckige Art-Déco-Lobby im Gebäudeinneren kann man über niedrige, von Geschäften flankierte Eingangskorridore erreichen. Die modernen Anbauten stammen vom Chicagoer Stararchitekten Helmut Jahn.

Werfen wir nun zur besseren Orientierung einen kurzen Blick auf den 1976 errichteten Sears Tower vom Architektenteam Skidmore, Owings and Merrill, den wir ja bereits gestern besucht haben. Der treppenartige, 110 Stockwerke hohe Bau beherrscht die Skyline Chicagos. 16.500 Menschen arbeiten hier täglich.

Gegenüber dem inzwischen abgerissenen und bereits erwähnten Home Insurance Building Jenneys liegt noch heute das 1886-91 erbaute Rookery Building, das nur wenige Meter von der eben besichtigten Getreidebörse entfernt liegt. Rookery, was so viel wie Krähenkolonie bedeutet, wurde das Gebäude nach den Taubenkolonien seines Vorgängerbaus genannt. Die Rookery wurde von einem erfolgreichen Architektenteam der Chicago School, Burnham und Root erbaut und als Bürogebäude konzipiert. Es ist in der in Chicago eher seltenen, fast quadratischen Blockform mit in der Mitte liegenden glasüberdachten Innenhof gebaut. Wahrscheinlich wurde dieser Lichthof, durch den auch die oberen Geschosse natürliches Licht erhalten, von Warenhausbauten in Europa und Amerika inspiriert. Einige stilistische Elemente erinnern an die Architektur Richardsons (besonders die rote Backsteinfassade), aber auch an Jenneys Home Insurance Building. Mit den exotischen Backstein- und Terrakottaverzierungen wandte man sich ab vom Pragmatismus der Chicago School, der beispielsweise Jenneys bereits gesehene Leiter-Gebäude kennzeichnete. Bautechnisch ist die Rookery in einer Mischtechnik von tragenden Mauerwerkswänden an der Fassade und gusseisernen sowie stählernen Pfeilern und Trägern an anderen Stellen der Konstruktion gekennzeichnet. Betreten wir nun das Innere des Gebäudes: Der 18 x 21 m große verglaste Lichthof wurde 1905 durch Frank Lloyd Wright umgestaltet. Eine monumentale Treppe führt in den oberen Trakt, wo sich Geschäfte befinden. Der hell ausgestaltete Lichthof mit typischen Wright'schen Lampen und einer filigranen Balustrade gibt einen erstaunlichen Kontrast zum eher düster und schwer wirkenden Äußeren des Gebäudes ab. Als Vorbild für diesen Innenhof haben wahrscheinlich die zwei Pariser Warenhäuser Bon Marché (1876) und Printemps (1881) gedient. Führen wir nun den Rundgang fort.

Nachdem wir nach rechts in die West Adams Street abgebogen sind, treffen wir an der Ecke South Dearborn Street auf das 16-stöckige Marquette Building, von Holabird und Roche 1894 mit E-förmigen Grundriss und einem zentralen Lichthof entworfen. Die klar strukturierte Fassade wird von vielen großen, vertikalen chicago windows durchbrochen, was dem Wunsch der Bauherrn nach hellen Räumen nachkam. Basis und Abschluss des Gebäudes sind betont und vom Mittelteil klar abgesetzt, genau wie es Sullivan mit seiner "Dreiteilungstheorie" gefordert hatte. Die durchlaufenden vertikalen Pfeiler verkleiden die tragenden Stützen im Inneren. Wie die meisten dieser Bauten gab es auf den Stockwerken keine Zwischenwände, so dass die Besitzer die Räume nach ihren Wünschen aufteilen konnten. Die Lobby ist mit Tiffany-Mosaiken und Bronzereliefs über das Leben Marquettes ausgeschmückt.

Folgen wir nun der South Dearborn Street, biegen rechts in die East Monroe Street ab und gleich links in die State Street. Beim Carson, Pirie & Scott Warehouse auf unserer rechten Seite, das in mehreren Bauetappen von 1899 bis 1906 errichtet wurde, handelt es sich um den letzten großen Auftrag Sullivans in Chicago und um eine der Manifestationen moderner Architektur sowie um eines der Spätwerke der Chicago School. Allgemein gesprochen ist das Warenhaus eine Erscheinung des Industriezeitalters, d.h. es gab keine Vorbilder in der Vergangenheit. Seinen Ursprung hat die Geschichte des Warenhauses in Europa, genauer gesagt in Paris. Das Magasin au Bon Marché wird oft als das erste Warenhaus der Welt angesehen (1876). Es ist ein Werk des Ingenieurs Gustave Eiffel und des Architekten L. A. Boileau. Die Ecken des Gebäudes waren pavillonartig ausgestaltet. Diese Anregung sollte Sullivan im Carson, Pirie & Scott-Warenhaus übernehmen. Die riesigen Warenhäuser, die in den späten 80er Jahren des 19.Jahrhunderts in Chicago gebaut wurden, führten mit ihren großen durchgehenden Bodenflächen den Lagerhaustyp weiter. Etwa zwischen 1890 und 1915 entstanden entlang der State Street die großen Warenhäuser. Die Straße wurde zur lebhaftesten des Landes. Wesentliche Veränderungen gab es 1893 durch zwei Bauten Jenneys: Dem Zweiten Leiter-Building, das wir bereits gesehen haben, und dem zerstörten Fair Store. Als Sullivans Gebäude vollendet war, übertraf es in der Höhe die anderen Bauten der Umgebung um das doppelte und evozierte schon dadurch eine immense Wirkung. Das Stadtzentrum Chicagos war aufgrund seiner enormen Dichte (um 1900) in den Immobilienpreisen weltweit führend. Bei der Errichtung von Gebäuden kam es deshalb auf Konzentration und Höhe an, um die Rentabilität des Gebäudes zu wahren.

Der erste an der Madison Street gelegene Teil des Baus ist ein neunstöckiger Stahlskelettbau. Metallarbeiten umrahmen die unteren Stockwerke, während die oberen mit glasierter Terrakotta verkleidet sind. Drei Jahre später fertigte Sullivan Pläne für einen 12-stöckigen Anbau an der State und Madison Street an. Der Eisen- und Stahlrahmen wurde in sehr kurzer Zeit errichtet, um die finanziellen Einbußen durch den Geschäftsausfall möglichst gering zu halten. Dieser Bau ist besonders prägnant durch die rundbogige Ecklösung des Eingangsbereichs. Die zwei Stockwerke hohe Basis und der rundbogige Eckeingang des Gebäudes bestehen aus Gusseisen mit vegetabilen Ornamenten, die entweder von Sullivan oder seinem Mitarbeiter Elmslie entworfen wurden. Sie sind der Blickfang des Gebäudes. Große Schaufenster, wichtig für die Präsentation der Waren und das Hereinlassen von Tageslicht, ziehen sich wie ein Band am Bau entlang. Das Metallskelett bestimmt das Aussehen des Baus, denn erst durch den Skelettrahmen war es überhaupt möglich, solch große Fensterflächen einzusetzen. Ein technischer Kniff wurde mit dem Einbau von Luxfer prismatic glass über dem normalen Fensterglas erreicht: Es lenkt das natürliche Licht auch in die hinteren Gebäudeteile und kann zur Belüftung geöffnet werden. Die über der Basis gelegenen Stockwerke mit Terrakottaverkleidung werden nach oben hin kleiner und zeichnen sich durch Klarheit und Strenge aus. Bestimmend für das Aussehen des Baus ist auch das Chicago window, das dem gesamten Bau einen horizontalen Charakter gibt, während die runde Eckausbildung mit vertikalen Fenstern und hervortretenden, vertikalen schmalen Rippen einen entgegenwirkenden Akzent setzt.
Die scharf in die Fassade eingeschnittenen Fenster haben, von außen kaum sichtbar, umlaufende schmale Ornamentstreifen aus Terrakotta. Der Bau wurde von einer Attika mit Loggia und dahinter liegenden Fenstern bekrönt. Das schmale Gesims trat leicht hervor. Dieser obere Abschluss des Gebäudes wurde inzwischen verändert. Beim Fundament handelt es sich um eine Chaisson-Gründung. Ab 1904 wurde ein weiterer Anbau von Burnham und Co. hinzugefügt, 1960-61 von Holabird und Root.

Das opulente Ornament des Kaufhauses besteht aus verschiedenen ornamentalen Mustern. Wenn man die "verschwenderische" Anwendung des Ornaments in Sullivans Werk betrachtet, kann man verstehen, warum diese von den Leuten ausgeblendet wurde, die Sullivan zum Propheten der modernen Architektur erhoben und die Ornamentik nicht mit seinem Ausspruch, dass die "Form der Funktion folge" in Einklang bringen konnten. Sullivan versuchte in verschiedenen theoretischen Schriften über das Ornament ("Ornament in Architecture", 1892; "A System of Architectual Ornament According with a Philosophy of Men's Power", 1924) seinen Standpunkt zu verdeutlichen. Auch er lehnte eine einfache Applikation von Ornamenten ab, wie sie beispielsweise in der historisierenden Architektur in den 20er Jahren dieses Jahrhunderts, wie wir auf unserem Rundgang noch sehen werden, in Chicago verwendet wurde. Für Sullivan bedingen sich Konstruktion und Ornament gegenseitig, eines erhöht das andere und ist einzeln nicht denkbar (= "organic system of ornamentation"). Deshalb muss für jedes Gebäude ein bestimmtes System der Ornamentierung gefunden werden und die Ornamentik ist nicht unter verschiedenen Gebäudetypen austauschbar, bleibt also einzigartig.

An den vorgestellten Baubeispielen konnte verdeutlicht werden, dass Sullivan um die Einheit eines Gebäudes rang. Dieser einheitliche Baugedanke lief jedoch weder auf einen rigorosen Ausdruck der Konstruktion noch auf eine dekorierte Konstruktion hinaus. Er beruht weder auf klassischen Idealen noch auf der Unterordnung konstruktiver Aspekte. Wie wir gesehen haben, war Sullivan alles andere als ein reiner Funktionalist, denn er machte starken Gebrauch des von ihm entwickelten Ornaments. Auch die Deckungsgleichheit von Innen und Außen, von Konstruktion und Fassade war ihm kein Dogma. Die Konstruktion des Eisenskeletts mit der Architektur zu einem einheitlichen Ausdruck zu vereinen, war der Verdienst der Architekten der Chicago School, in der Sullivan eine bedeutende Stellung einnahm. Wie bereits erwähnt, existierte die Chicago School am Ende des Ersten Weltkriegs nicht mehr. Wolkenkratzer gaben jetzt vor etwas anderes zu sein als nur funktionale Gebäude. So finden sich "Renaissancepaläste", "gotische Kathedralen" (vgl. Raymond Hoods Chicago Tribune Tower von 1922, den wir noch besichtigen werden), "atztekische Stufentempel" etc. Das wofür Sullivan gekämpft hatte, nämlich das Aussehen des Baus den Erfordernissen der Funktion anzupassen und nicht tradierte Stilelemente auf das traditionslose Hochhaus anzuwenden, war vergessen. Die Dekoration Sullivans entstand organisch aus dem Bau heraus, oder wie es Sullivans Schüler Frank Lloyd Wright ausdrückte, seine Dekoration sei "of the thing, not on it."

Wir gehen die State Street geradeaus und sehen nach etwa 100 m auf der linken Seite das Reliance Building, 1894 von Charles B. Atwood für Burnham und Co. entworfen. Der 16 Geschosse hohe Glasturm ist frei von stilistischen Referenzen der Vergangenheit. Die Fassade ist vollständig in horizontal gelagerte Glasflächen und Erker aufgelöst, so dass die Transparenz des Bauwerks zum entscheidenden Eindruck wird. Die Benutzung extensiver Glasflächen mit wenigen, teilweise verzierten hellen Terrakottakacheln wurde erst durch die Metallskelettkonstruktion ermöglicht, die auch hier Verwendung fand. Vorher musste allerdings ein neues Fundament gebaut werden, denn das des Vorgängerbaus war nicht stark genug konstruiert. Das Gebäude ist ein frühes Beispiel für die späteren Wolkenkratzer mit ihrem ganz aus Glas bestehenden curtain wall, der aus dem heutigen Bild der Großstädte nicht mehr wegzudenken ist.

Gehen wir die Geschäftsstraße weiter geradeaus, stoßen wir an der Ecke East Washington Street auf das Marshall & Fields Store. Das Warenhaus Burnhams ist als Prototyp seiner späteren Kaufhäuser Selfridge's in London und Wanamaker's in Philadelphia zu bezeichnen. Die Baugeschichte ist sehr verworren, deshalb nur die wichtigsten Eckdaten: Die Originalgestaltung von 1893 ist zerstört, die späteren Bauten stammen aus den Jahren 1902-07. Über einer dreistöckigen Basis sind sieben Stockwerke angeordnet, den Abschluss bilden zwei niedrigere Stockwerke mit Säulen und einem leicht herauskragenden Dachabschluss. Der Bau ist ein Höhepunkt der Industriearchitektur. Berühmt sind die großen Uhren an der Fassadenecke der State Street. Gehen wir in das Gebäude hinein und halten uns dort etwa eine Viertelstunde auf: Das Innere besticht vor allem durch eine 1907 von Louis Comfort Tiffany entworfene Kuppel aus 1,6 Millionen Favrile-Glassteinchen, die einen mehrstöckigen Lichthof überkrönt.

Nachdem wir die Straße bis zum Chicago River/Ecke Wacker Drive vorgegangen sind, können wir nun einen Blick auf den Chicago River und die zwei wabenartigen Türme der Marina City genießen. Es handelt sich um ein 1964 erbautes, multifunktionales Gebäude (Apartments, Parkhaus, Restaurants, Theater etc.) von Bertrand Goldberg Associates, im Volksmund wegen seiner Form auch "Maiskolben" genannt.

Einen halben Kilometer vom Marshall & Fields Store entfernt, etwa an der Stelle der heutigen Michigan Avenue Bridge liegt die historische Site of Fort Dearborn, an der die Stadt Chicago ihren Ausgang nahm. An den Brückentürmen erzählen Reliefs die Geschichte der Entdeckung, Besiedlung, Verteidigung und Wiedererrichtung der Stadt nach dem großen Brand von 1871. Von hier hat man einen eindrucksvollen Blick auf den Chicago River, die beherrschenden Wolkenkratzer und die nach Norden verlaufende, prachtvolle Einkaufsmeile Magnificent Mile. Bei der 1920 eingeweihten Michigan-Bridge handelt es sich um eine zweiteilige Zugbrücke, im Fachjargon "doubleleaf trunnion bascule bridge" genannt, die bei Bedarf von einem Elektromotor geöffnet und geschlossen werden kann. Die Brücke war bereits in Burnhams Chicago Plan von 1909 eingeplant und wurde elf Jahre später von seinem Mitarbeiter Bennett verwirklicht.

Das Gebäude, das wir links von uns sehen, ist das nach dem Kaugummifabrikanten benannte Wrigley Building, dessen linker 120 m hoher Gebäudeteil 1921 (Südturm), der rechte niedrigere Nordturm drei Jahre später fertiggestellt und von den Architekten Graham, Anderson, Probst und White entworfen wurde. Beide Türme werden durch zwei später entstandene Übergänge im dritten und 14. Geschoss miteinander verbunden. Die Fassade ist mit glasiertem Terrakotta verkleidet. Interessant ist, dass zur Entstehungszeit des Wrigley Buildings nördlich des Loops keine Bürohochhäuser standen. Der Standpunkt am Chicago River an der Michigan Avenue Bridge macht den Bau zum Blickfang von allen Seiten. Mit dem Tribune Tower markiert das Wrigley Building das Ende der eigentlichen Chicago School. Der ungewöhnliche polygonale Grundriss wird durch den unregelmäßigen Bauplatz bestimmt, der für den sonst üblichen kubischen Geschäftshausblock ungeeignet war. Als Konstruktion wählte man ein Stahlskelett mit kassetiertem Sockel und mit Glasfenstern zwischen den Stützpfeilern. Das Gebäude entspricht der klassischen Unterteilung in Basis, Schaft und Kapitell. Der hoch aufragende Turm mit einem von einer Kuppel gekrönten Rundtempel findet sein Vorbild in der Giralda im spanischen Sevilla. In den 80er Jahren dieses Jahrhunderts wurden die stark verschmutzten Terrakottakacheln der Fassaden teilweise durch Plastikrepliken ersetzt.

Gleich schräg gegenüber sehen wir auf der rechten Seite den Tribune Tower. Entworfen wurde der neogotische Bau von Raymond Hood, der den ersten Preis des bereits erwähnten Architekturwettbewerbs von 1922 gewann, an dem sich viele international bekannte Architekten beteiligten. Walter Gropius, Max Taut, Eliel Saarinen und Adolf Meyer schickten ebenso einen Entwurf wie Adolf Loos, der mit einer gigantischen dorischen Säule, ausgebildet zu einem Wolkenkratzer, Aufsehen erregte. Im Unterschied zum Siegesentwurf waren die deutschen Architekten der Meinung, dass alte architektonische Formen am neuen Bautyp des Hochhauses nichts zu suchen hätten, es hingegen nur auf den unverhüllten Ausdruck der Baustruktur ankäme. An der Außenwand des Gebäudes befinden sich Steine der berühmtesten Bauwerke der Welt: Von der Berliner Mauer, der Chinesischen Mauer, der Cheops-Pyramide, vom Petersdom und vom Kolosseum in Rom sowie von der Londoner Westminster Abbey.

Laufen wir nun der letzten Etappe unseres Rundgangs Richtung Süden entgegen, etwa einen ¾ km entlang der South Michigan Avenue bis zu der auf der rechten Seite liegenden, teilweise von Sullivan 1898-99 entworfenen Gage Group. Von den drei Gebäudeeinheiten entwarf Sullivan die nördliche (rechte) Fassade. Die anderen beiden Gebäude stammen von Holabird und Roche. Das hauptsächlich zur Hutfabrikation genutzte, elegant wirkende Gebäude Sullivans war ursprünglich achtstöckig, ehe es 1902 um zwei weitere Stockwerke ergänzt wurde. Es handelt sich um das erste Gebäude des Architekten, dessen Fassadenform durchgängig vom Stahlskelettrahmen bestimmt wird. Auffällig sind die zwei der Fassade vorgelegten Pilaster mit großen Blattranken im oberen Teil, die sich über die gesamte Fassadenhöhe erstrecken. Die Gebäude von Sullivan und Holabird & Roche veranschaulichen die zwei bereits erwähnten Herangehensweisen der Chicago School: Auf der einen Seite die unverschnörkelte Gestaltung der Fassaden durch Holabird und Roche, auf der anderen Seite die mehr expressive Art Sullivans.

Schräg gegenüber liegt das 1892 entstandene Art Institute mit hervorragenden Kunstsammlungen, dessen Architektur von den Gedanken der Beaux-Arts-Bewegung bestimmt wird. Der ursprüngliche Bau stammt von Shepley, Rutan and Coolidge und wurde später mehrfach von verschiedenen Architekten ergänzt.

Anhand dieser wenigen, aber herausragenden Beispiele der Architektur der Chicago School sollte zum einen verdeutlicht werden, wie differenziert die Architekten arbeiteten, zum anderen, welche technischen Innovationen sie anwendeten. Wie wir gesehen haben, wurden oft überholte Konstruktionstechniken wie das selbsttragende Mauerwerk neben modernen Konstruktionen wie dem Metallskelett angewendet oder vermischt. Die Verwendung der alten oder neuen Konstruktionsweise muss sich aber nicht unbedingt gravierend auf das Aussehen des Baus auswirken. So sieht beispielsweise die schlichte Fassade des Monadnock Buildings moderner aus als die reicher mit Bauschmuck versehene des Home Insurance Buildings, obwohl das erstgenannte Gebäude noch selbsttragendes Mauerwerk aufweist, das zweite aber ein Mischform ist. Wichtig zu erkennen ist, dass es ganz unterschiedliche Stilformen innerhalb der Chicago School gibt, sie in sich nicht kohärent ist. Unbestritten ist der Beitrag der Chicago School zur Entwicklung des modernen Wolkenkratzers. Durch die Anwendung des Metallrahmens wurde es überhaupt erst möglich, dass man heute scheinbar unbegrenzt in die Höhe bauen kann und die curtain walls, meistens aus Glas und Metall bestehend, entscheidend zum Aussehen der Wolkenkratzer beitragen. Neben Chicago gebührt aber auch New York ein gleichrangiger Platz auf dem Weg hin zum modernen Wolkenkratzer
eines Mies van der Rohe oder Helmut Jahn.

Weiterführende Links:

http://www.artic.edu/

http://www.ci.chi.il.us/Landmarks/



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