Reisetipp: Architektur der Klassischen Moderne in Luckenwalde


Von Claudia Simone Hoff

[Fotos: C. Hoff]


Etwa eine Stunde Fahrzeit südlich von Berlin und man glaubt sich in einer anderen Welt zu befinden, genauer gesagt in der Kleinstadt Luckenwalde. Sie birgt zwar einen großen Schatz von Bauten fast aller Epochen und Baustile, das Highlight eines Besuchs ist aber sicherlich die vielfältige Substanz von Architektur der Klassischen Moderne: ein Friedhof, mehrere Wohnsiedlungen, Fabriken, ein Theater- und Schulbau. Eigentlich war ich nur gekommen, um Erich Mendelsohns Hutfabrik anzuschauen, aber nachdem ich in der Touristeninformation in der Altstadt eine Fülle von Material über die Stadt gesammelt hatte, wusste ich, dass die Besichtigungstour länger als angenommen dauern würde - zu viel gibt es hier zu entdecken.

Als erstes ging es zum Waldfriedhof am Rande der Stadt, einem der bedeutensten expressionistischen Waldfriedhofsanlagen in Deutschland, dessen Bauleitung bis 1921 Richard Neutra vom Bauamt Luckenwalde inne hatte, ehe er in das Berliner Büro des Architekten Erich Mendelsohn wechselte. Der Friedhof folgt den Regeln der Friedhofs-Reformbewegung und stand im Gegensatz zu den bis dahin üblichen engen städtischen Friedhöfen. Er zeichnet sich durch den Kontrast von Freianlagen und Wegen mit dem dunklen Baumbestand aus. Als Grundriss wählte Neutra den Skarabäus (allerdings nur im Grundriss und aus der Luft zu sehen), das altägyptische Symbol für Auferstehung und Leben.

Nach dem Besuch des Waldfriedhofs ging es dann in die Innenstadt von Luckenwalde, die von Kriegsschäden verschont blieb und deshalb einen großen Reichtum von Architekturdenkmälern aus verschiedenen Epochen aufzuweisen hat. Der Vierseithof wurde von König Friedrich II. in Auftrag gegeben. Um einen Hof herum gruppieren sich vier Gebäude, die vom Herrenhaus überragt werden. Heute befindet sich dort ein Hotel und Restaurant. Im 18. Jahrhundert beherbergte der Bau eine Fabrik: 1815 werden dort die ersten Spinnmaschinen untergebracht, 1858 die ersten mechanischen Webstühle aufgestellt. Es handelt sich um die erste barocke Tuchfabrik in Luckenwalde. Nach vielen Un- und Anbauten und den Wirrungen der Geschichte wurden auf dem Gelände 1951 die Luckenwalder Volltuchfabriken eingerichtet, die bis 1990 existierten.

Ein Rundgang durch die Innenstadt führte mich am rötlich verputzten Doppelgebäude des Stadttheaters und der Schule vorbei (s. Foto rechts oben). Die 1927 bis 1930 entstandene Gebäudegruppe aus mehreren Kuben mit Flachdach zeichnet sich durch eine klare Linienführung aus und ist eines der bedeutensten Gebäude dieser Epoche in Luckenwalde. Als Architekten zeichneten Paul Backes, Hans Graf und Rudolf Brennecke verantwortlich, die an allen großen städtischen Bauvorhaben von 1925 bis 1933 beteiligt waren und deren Einfluss auf Planung und Umsetzung nicht zu unterschätzen ist.

Etwas außerhalb des Stadtzentrums, während man einige interessante Wohnsiedlungen aus den 1920er und 1930er Jahren streift, liegt in der Industriestraße 2 ein Klassiker der modernen Architektur: Erich Mendelsohns Hutfabrik Friedrich Steinberg Hermann & Co. (s. Foto oben in der Mitte). Der Baubeginn datiert in das Jahr 1921, die Gebrauchsabnahme in das Jahr 1923. Der bekannteste Bauteil der Fabrik ist sicherlich der sogenannte "Hut", der erst 1934 entstand. In ihm war die Färberei untergebracht, die letzte Station der Hutherstellung. Die Fabrik war nicht nur produktionstechnisch auf dem letzten Stand, sondern auch fertigungstechnisch, wurde sie doch unter der Verwendung von Eisenbetonrahmenbindern errichtet. Einige Details verweisen auf eine expressionistische Formensprache, beispielsweise die Bänderung des Mauerwerks oder die Gestaltung der Gebäudeecken. Zeitlich steht die Hutfabrik im Werk Mendelsohns zwischen seinem Potsdamer Einsteinturm (1920 - 24) und dem zusammen mit Richard Neutra konzipierten Berliner Mossehaus (1921 -23). Erich Mendelsohn entwarf in Luckenwalde auch die Arbeitersiedlung Upstallweg/Gottower Straße.

An vielen der Bauten in Luckenwalde lässt sich der Wandel der Geschichte ablesen und an jeder Ecke gibt es Interessantes und Unerwartetes zu entdecken: Kurz erwähnt seien folgende Bauten der Klassischen Moderne: Ehemaliges Katasteramt von Paul Backes (1928/29), ehemaliges Jugendheim des ADGB von Paul Backes (1928), das Stadtbad von Hans Hertlein (1927/28) und die Siedlung am Anger von Josef Bischof, unter Mitarbeit von Richard Neutra u. a.(1919 - 21).

Literaturtipp: Drachenberg, Thomas: Die Baugeschichte von Luckenwalde von 1918 bis 1933. Worms 1999.

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