Chicago - Zur Entstehung des modernen Hochhauses
Von Claudia Simone Hoff
Gegen Ende des amerikanischen Bürgerkrieges (1861-65) verband man die Schlachthöfe der Gegend um Chicago durch neun verschiedene Eisenbahnlinien. Dadurch wurde die 1833 gegründete Stadt am Lake Michigan für ein Jahrhundert zum weltwichtigsten Zentrum der fleischverarbeitenden Industrie. Die Stadt wuchs zum Handels- und Transportzentrum, was sich auch im Anwachsen der Bevölkerung spiegelte. Durch die Eisenbahn gelangten viele Arbeitskräfte in die Stadt, auch die ersten professionellen Architekten von der amerikanischen Ostküste. Die Eisenbahn war auch Bedingung dafür, dass die Materialien, die zum Hochhausbau benötigt wurden, in die Stadt transportiert werden konnten.
Durch die Erschließung des ungeheuer großen Hinterlandes vollzog sich eine Umwandlung des Ackerbaus vom bäuerlichen zum industriellen Produktionsbetrieb. Chicago wurde zum größten Getreidezentrum der Welt. Neben dem Getreide- und Viehhandel gab es auch noch Werkzeugfabriken, Brauereien, Lager von Kupfer- und Eisenerz sowie Braunkohlefelder. Die Wirtschaft der Stadt florierte ab der Mitte des 19. Jahrhunderts. Zur Entwicklung des Hochhauses in Chicago trug auch die Tatsache bei, dass sich finanzstarke Großbetriebe wie McCormick, Marshall Field, Montgomery Ward oder Sears Roebuck in der Stadt niederließen. Sie gehörten zu den Hauptauftraggebern der Hochhäuser, die meistens Mischfunktionen in Form von Büros, Kaufhäusern und Wohnungen innehatten. Nach den Wünschen der Auftraggeber sollten die Chicagoer Architekten praktisch, zeitgemäß und kostensparend bauen. Die wachsende Komplexität der modernen Industrie verlangte konzentrierte, administrative Zentren, was eine Zentralisierung des Geschäftsprozesses mit sich brachte. Deshalb ist eine steigende Intensität der Landnutzung verbunden mit erhöhten Grundstückspreisen in Chicago (nach dem Brand 1871) zu verzeichnen. Für die (Architektur-) Geschichte bestimmend wurde der große Brand im Oktober 1871, der neben Personenverlusten auch ein Drittel des Baubestands der Stadt vernichtete. Zur Zeit des Feuers hatte Chicago sich seine Stellung als wichtigste Stadt des Westens gesichert und St. Louis als Verkehrsknotenpunkt abgelöst. Das darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass es eklatante soziale Widersprüche in der Stadt gab. Der Wiederaufbau der Stadt nach dem Feuer verlief sehr schnell. Einen Monat nach der Katastrophe waren bereits 5000 Häuser fertiggestellt oder noch im Bau. Die Grundstückspreise stiegen enorm an.
Wichtig für das Erscheinungsbild der Chicagoer Architektur ist die Tatsache, dass es eine Bodenparzellierung in Form eines Schachbrettmusters (das grid system) gibt, das ein leicht überschaubares, orthogonales Orientierungsmuster regelmäßiger Blöcke und Planquadrate bildet. Dadurch bedingt war der Bedeutungszuwachs der Fassadengestaltung. Andere Mittel zur Prestigeerhöhung des Gebäudes war (und ist) die Größe des Baublocks und die Höhe des Gebäudes.
Technische Innovationen
Ohne die Erfindung des Eisenskelettrahmens, des Fahrstuhls, des feuerbeständigen Hohlziegels, bestimmter Fundamente und anderer technischer Neuerungen wäre die Entwicklung des modernen Hochhauses nicht möglich gewesen. Zwar hat Chicago großen Anteil an dieser Entwicklung, aber die wichtigsten technischen Innovationen wurden in anderen Städten bzw. Ländern gemacht. Die Ursprünge des Eisenskelettbaus sind in der Entwicklung des Gusseisens in der Architektur zu suchen. Sie fand hauptsächlich in England und Frankreich in der Mitte des 19. Jhs. statt. Schon der zur Weltausstellung 1851 in London aufgestellte Kristallpalast von Joseph Paxton zeigte die Rationalisierung des Entwurfprozesses mit den vorfabrizierten Teilen wie gegossene dünne Gusseisensäulen, Holzrahmen, Druckglasplatten und Rinnen für das Dach. Es war der erste große Bau aus Glas, Eisen und Holz mit einem präzise zusammengeschraubten Skelett aus Guss- und Schmiedeeisen. Der erste Eisenskelettbau, der das gesamte Gewicht eines Baus trug, war die Schokoladenfabrik von Jules Saulnier in Noisiel-sur-Marne bei Paris in den Jahren 1871/72. Vorher hatte man meist die Front eines Hauses mit gusseisernen Stützen ausgestattet, um eine maximale Lichtzufuhr durch die Fenster zu erreichen. Vor dem großen Brand in Chicago 1871 existierten solche gusseisernen Frontfassaden, die den Vorläufer der Skelettkonstruktion bilden, bereits in der Stadt.
Das grundsätzlich Neue der Metallskelettkonstruktion, anfangs eine Mischung aus Eisen und Stahl, bestand darin, dass das Prinzip von Stütze und Last zugunsten eines Rahmens aufgegeben wurde, der aufgrund der besonderen Kräftebahnen die Fassade von der tragenden Funktion unabhängig machte. Das hatte den Vorteil, dass es keine sehr dicken Mauern mehr gab und man die Möglichkeit hatte, große Fenster einzubauen, was zur Entwicklung des dreiteiligen Chicago window führte, das in Chicago oft in Zusammenhang mit Erkern Verwendung fand. Auch im Inneren der Geschosse konnte man nun frei über die Geschossflächen verfügen, weil keine platzraubenden Stützmauern mehr notwendig waren. Außerdem war ein Metallrahmen schneller zu errichten als ein Mauerwerksbau. Im kommerziellen Büro- und Warenhausbau sollten sich diese Vorteile schnell durchsetzten. Wie wir noch sehen werden, gab es in Chicago anfangs aber auch noch Mischformen mit selbstragenden Mauern und Metallskelett. Es war außerdem möglich, ein Gebäude mit selbsttragenden Mauern zu errichten, diese aber in ihrer Dicke zu reduzieren, indem man gusseiserne Säulen zur Verstärkung der Stützkraft in das Mauerwerk integrierte. Ohne die Erfindung des Fahrstuhls durch den New Yorker Ingenieur Otis wäre der Bau von mehr als sechsstöckigen Häusern gar nicht möglich gewesen. Er sorgte dafür, dass man jetzt die oberen Stockwerke schnell erreichen konnte und diese eine Wandlung von den billigsten zu den teuersten Etagen durchmachten. Der erste Fahrstuhl wurde in den 1960er Jahren des 19. Jhs. in ein New Yorker Hochhaus eingebaut. Parallel zur Entwicklung des Fahrstuls tauchte die Entwicklung von feuersicheren Ummantelungen des Metallskeletts aus Ziegel- oder Sandstein (engl.: brick) auf, die verhinderten, dass der Metallrahmen bei einem Feuer schmolz. Auch haustechnische Neuerungen waren von großer Bedeutung für die Entstehung des Hochhauses. Gefordert war ein zentrales Heizungs-, Wasser- und Abwassersystem, Elektrizität, Klimaanlagen sowie ein Telefonnetz.Zwischen 1880 und 1890 hatte sich der sogenannte commercial style in Chicago durchgesetzt. Die Skelettkonstruktion eignete sich besonders für die Geschäftsbauten, an die Anforderungen wie Haltbarkeit und Feuerfestigkeit, Ökonomie und schnelle Errichtung der Konstruktion, maximaler natürlicher Lichteinfall und eine offene flexible Innenraumfläche gestellt wurden.
Anmerkungen zur Chicago School und Vorstellung der wichtigsten Bauten
Durch die Erschließung des ungeheuer großen Hinterlandes vollzog sich eine Umwandlung des Ackerbaus vom bäuerlichen zum industriellen Produktionsbetrieb. Chicago wurde zum größten Getreidezentrum der Welt. Neben dem Getreide- und Viehhandel gab es auch noch Werkzeugfabriken, Brauereien, Lager von Kupfer- und Eisenerz sowie Braunkohlefelder. Die Wirtschaft der Stadt florierte ab der Mitte des 19. Jahrhunderts. Zur Entwicklung des Hochhauses in Chicago trug auch die Tatsache bei, dass sich finanzstarke Großbetriebe wie McCormick, Marshall Field, Montgomery Ward oder Sears Roebuck in der Stadt niederließen. Sie gehörten zu den Hauptauftraggebern der Hochhäuser, die meistens Mischfunktionen in Form von Büros, Kaufhäusern und Wohnungen innehatten. Nach den Wünschen der Auftraggeber sollten die Chicagoer Architekten praktisch, zeitgemäß und kostensparend bauen. Die wachsende Komplexität der modernen Industrie verlangte konzentrierte, administrative Zentren, was eine Zentralisierung des Geschäftsprozesses mit sich brachte. Deshalb ist eine steigende Intensität der Landnutzung verbunden mit erhöhten Grundstückspreisen in Chicago (nach dem Brand 1871) zu verzeichnen. Für die (Architektur-) Geschichte bestimmend wurde der große Brand im Oktober 1871, der neben Personenverlusten auch ein Drittel des Baubestands der Stadt vernichtete. Zur Zeit des Feuers hatte Chicago sich seine Stellung als wichtigste Stadt des Westens gesichert und St. Louis als Verkehrsknotenpunkt abgelöst. Das darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass es eklatante soziale Widersprüche in der Stadt gab. Der Wiederaufbau der Stadt nach dem Feuer verlief sehr schnell. Einen Monat nach der Katastrophe waren bereits 5000 Häuser fertiggestellt oder noch im Bau. Die Grundstückspreise stiegen enorm an.
Wichtig für das Erscheinungsbild der Chicagoer Architektur ist die Tatsache, dass es eine Bodenparzellierung in Form eines Schachbrettmusters (das grid system) gibt, das ein leicht überschaubares, orthogonales Orientierungsmuster regelmäßiger Blöcke und Planquadrate bildet. Dadurch bedingt war der Bedeutungszuwachs der Fassadengestaltung. Andere Mittel zur Prestigeerhöhung des Gebäudes war (und ist) die Größe des Baublocks und die Höhe des Gebäudes.
Technische Innovationen
Ohne die Erfindung des Eisenskelettrahmens, des Fahrstuhls, des feuerbeständigen Hohlziegels, bestimmter Fundamente und anderer technischer Neuerungen wäre die Entwicklung des modernen Hochhauses nicht möglich gewesen. Zwar hat Chicago großen Anteil an dieser Entwicklung, aber die wichtigsten technischen Innovationen wurden in anderen Städten bzw. Ländern gemacht. Die Ursprünge des Eisenskelettbaus sind in der Entwicklung des Gusseisens in der Architektur zu suchen. Sie fand hauptsächlich in England und Frankreich in der Mitte des 19. Jhs. statt. Schon der zur Weltausstellung 1851 in London aufgestellte Kristallpalast von Joseph Paxton zeigte die Rationalisierung des Entwurfprozesses mit den vorfabrizierten Teilen wie gegossene dünne Gusseisensäulen, Holzrahmen, Druckglasplatten und Rinnen für das Dach. Es war der erste große Bau aus Glas, Eisen und Holz mit einem präzise zusammengeschraubten Skelett aus Guss- und Schmiedeeisen. Der erste Eisenskelettbau, der das gesamte Gewicht eines Baus trug, war die Schokoladenfabrik von Jules Saulnier in Noisiel-sur-Marne bei Paris in den Jahren 1871/72. Vorher hatte man meist die Front eines Hauses mit gusseisernen Stützen ausgestattet, um eine maximale Lichtzufuhr durch die Fenster zu erreichen. Vor dem großen Brand in Chicago 1871 existierten solche gusseisernen Frontfassaden, die den Vorläufer der Skelettkonstruktion bilden, bereits in der Stadt.
Das grundsätzlich Neue der Metallskelettkonstruktion, anfangs eine Mischung aus Eisen und Stahl, bestand darin, dass das Prinzip von Stütze und Last zugunsten eines Rahmens aufgegeben wurde, der aufgrund der besonderen Kräftebahnen die Fassade von der tragenden Funktion unabhängig machte. Das hatte den Vorteil, dass es keine sehr dicken Mauern mehr gab und man die Möglichkeit hatte, große Fenster einzubauen, was zur Entwicklung des dreiteiligen Chicago window führte, das in Chicago oft in Zusammenhang mit Erkern Verwendung fand. Auch im Inneren der Geschosse konnte man nun frei über die Geschossflächen verfügen, weil keine platzraubenden Stützmauern mehr notwendig waren. Außerdem war ein Metallrahmen schneller zu errichten als ein Mauerwerksbau. Im kommerziellen Büro- und Warenhausbau sollten sich diese Vorteile schnell durchsetzten. Wie wir noch sehen werden, gab es in Chicago anfangs aber auch noch Mischformen mit selbstragenden Mauern und Metallskelett. Es war außerdem möglich, ein Gebäude mit selbsttragenden Mauern zu errichten, diese aber in ihrer Dicke zu reduzieren, indem man gusseiserne Säulen zur Verstärkung der Stützkraft in das Mauerwerk integrierte. Ohne die Erfindung des Fahrstuhls durch den New Yorker Ingenieur Otis wäre der Bau von mehr als sechsstöckigen Häusern gar nicht möglich gewesen. Er sorgte dafür, dass man jetzt die oberen Stockwerke schnell erreichen konnte und diese eine Wandlung von den billigsten zu den teuersten Etagen durchmachten. Der erste Fahrstuhl wurde in den 1960er Jahren des 19. Jhs. in ein New Yorker Hochhaus eingebaut. Parallel zur Entwicklung des Fahrstuls tauchte die Entwicklung von feuersicheren Ummantelungen des Metallskeletts aus Ziegel- oder Sandstein (engl.: brick) auf, die verhinderten, dass der Metallrahmen bei einem Feuer schmolz. Auch haustechnische Neuerungen waren von großer Bedeutung für die Entstehung des Hochhauses. Gefordert war ein zentrales Heizungs-, Wasser- und Abwassersystem, Elektrizität, Klimaanlagen sowie ein Telefonnetz.Zwischen 1880 und 1890 hatte sich der sogenannte commercial style in Chicago durchgesetzt. Die Skelettkonstruktion eignete sich besonders für die Geschäftsbauten, an die Anforderungen wie Haltbarkeit und Feuerfestigkeit, Ökonomie und schnelle Errichtung der Konstruktion, maximaler natürlicher Lichteinfall und eine offene flexible Innenraumfläche gestellt wurden.
Anmerkungen zur Chicago School und Vorstellung der wichtigsten Bauten
Unter dem Begriff der Chicago School fasst man die Gruppe von Architekten zusammen, die im letzten Viertel des 19. Jhs. in Chicago tätig waren. Natürlich herrschte kein homogener Architekturstil, sondern verschiedene, oft gegensätzliche Stile existierten nebeneinander und beeinflussten sich gegenseitig. Die Chicago School trennte sich in den 1880er Jahren, grob vereinfacht gesprochen, in zwei Richtungen. Auf der einen Seite wurde die Form ausschließlich in Zwecklösungen gesucht, die weitgehend für sich selbst sprachen. Das Ergebnis waren streng gegliederte und in Raster aufgeteilte Fassaden mit feinen unaufdringlichen Details. Zu diesen Architekten gehörten der Begründer der Chicago School, William Le Baron Jenney mit seinem Ersten und Zweiten Leiter-Building sowie Holabird and Roche mit dem Marquette, Gage und Crown Building. Die zweite Richtung setzte sich aus Architekten zusammen, die den Ausdruck in eher plastischen Formen bevorzugten. Herausregender Vertreter dieser Richtung war Louis Henry Sullivan, dessen Gebäude sich durch das von ihm entwickelte Ornament, die Verbindung geradliniger und runder Elemente sowie durch stark texturiertes, farbiges Material auszeichnen. Andere Architekten dieser Richtung waren John Wellburn Root mit seinem Monadnock Building und Atwoods und Burnhams Reliance Building.
Den Architekten der Chicago School kommt der Verdienst zu, die Konstruktionsweise des Metallskeletts zur Grundlage einer modernen Ästhetik gemacht zu haben. Ornamente haben in diesem Zusammenhang keine tektonische Aufgabe mehr, sondern dienen nur noch zur Ausschmückung des Gebäudes. Vorausgreifend ist zu sagen, dass das Ende der Chicago School mit der Weltausstellung von 1893 ihren Anfang nahm. In den 1920er Jahren ist eine Rückwendung zum tradierten Vokabular des Historismus und der europäischen "Beaux-Arts-Bewegung" zu beobachten. Die Chicago School hatte ihre Vorangstellung in der Stadt verloren.Die wichtigsten Bauten der Chicago School werden vorgestellt und erläutert werden, bevor im nächsten Abschnitt das Werk Sullivans in Chicago vorgestellt wird. Der als Ingenieur ausgebildete William Le Baron Jenney eröffnete 1868 ein Architekturbüro in Chicago, das die Lehrwerkstatt der Chicago School werden sollte. Architekten wie Sullivan, Roche, Holabird und Burnham erhielten hier ihre künftige Ausbildung. Als erstes Gebäude der Chicago School wird das 1879 gebaute Erste Leiter Building Jenneys betrachtet. Es handelt sich um ein ursprünglich fünfstöckiges, später siebenstöckiges Warenhaus. Auf den ersten Blick kann man den Käfig des Eisengerüsts erkennen: große Fensteröffnungen (Vorläufer des Chicago window) und schmale Mauerwerkspfeiler, die zwar von ihrer deckentragenden Funktion befreit waren, aber noch immer die eisernen Brüstungsbalken bzw. Träger trugen. Auf der Innenseite der Mauerwerkpfeiler wurden Eisenpilaster angebracht, um die hölzernen Deckenträger zu stützen. Das Gebäude weist nur wenige Ornamente im oberen Bereich der Mauerwerkpfeiler und am leicht hervortretenden Gesims auf. Insgesamt ist eine einheitliche, klare Gliederung des Baus zu beobachten, der durch den durchgehenden Rhythmus von breiten Fensterbändern und schmalen Pfeilern und Brüstungen entsteht. Bereits am Ende des 19. Jhs. wird die Direktheit und Simplizität der späteren modernen Hochhäuser vorweggenommen.
Das Zweite Leiter Building, von Jenney 1889-91 erbaut, war ein riesiger rechteckiger Warenhausbau aus weißem Granit. Es handelt sich um die früheste Lösung des großen Skelettbaus, an dem es keine selbstragenden Mauern gab. Der Rahmen wird zum unverdeckten Mittel des Ausdrucks. In seiner strukturellen Ökonomie ist dieses Warenhaus ein Musterbeispiel des commercial style in Chicago. Es gibt fast keine Verzierungen. Zusammengehalten wird der Bau durch die an den Gebäudeecken plazierten wuchtigen Pfeiler. Die vertikalen Fenster werden von für Jenney typischen Säulen voneinander getrennt, auf jeweils zwei dreiteilige Fensterkompartimente erfolgt ein Pilaster. Durchgängig durchgehalten entsteht so die rhythmische Gliederung des Baus, ähnlich wie beim Ersten Leiter Building. Beim letzteren wird die Basis und das abschließende Gesims weniger betont als beim später errichteten Bau.Bevor das erste Gebäude mit einem vollkommenen Metallskelett (Zweites Leiter Building) errichtet werden konnte, versuchte sich Jenney auch in der Mischkonstruktion von selbstraggenden Mauern und Metallskelett. Zwischen dem Ersten Leiter Building und dem Zweiten Leiter Building entstand 1883-85 das Home Insurance Building, ein Bürohochhaus. Die Innen- und Außenwände wurden durch einen Rahmen aus Gusseisen und Stahl getragen. Diese Metallskelettkonstruktion setzte aber erst über der grob behauenen Steinbasis des 9-stöckigen, später 11-stöckigen Gebäudes an. Im Vergleich mit dem Ersten und Zweiten Leiter Building ist das Home Insurance Building weniger klar und streng struktuiert. Ein Eingangsrisalit mit Säulen, die hervortretende bossierte wuchtige Basis, verzierte Kapitelle, Brüstungen, Balkone und ein abschließendes Gesims mit Balustrade zerstreuen die Struktur und lassen die klare, unverschnörkelte Architektur der Leiter-Warenhäuser vermissen.
Gegenüber dem inzwischen abgerissenen Home Insurance Building liegt noch heute das 1886-91 Rookery Building, das von einem erfolgreichen Architektenteam der Chicago School, Burnham & Root erbaut wurde und als Bürogebäude konzipiert wurde. Es ist in der in Chicago eher seltenen fast quadratischen Blockform mit in der Mitte liegenden glasüberdachten Innenhof, der 1905 von Frank Lloyd Wright umgestaltet wurde, gebaut. Vielleicht wurde dieser Lichthof von Warenhausbauten in Europa und Amerika inspiriert. Einige stilistische Elemente erinnern an die Architektur Richardsons (s. u.) , aber auch an Jenneys Home Insurance Building. Mit den exotischen Backstein- und Terrakottaverzierungen wandte man sich ab vom Pragmatismus der Chicago School, der beispielsweise Jenney Leiter-Gebäude kennzeichnete. Bautechnisch ist die Rookery in einer Mischtechnik von tragenden Mauerwerkswänden an der Fassade und gusseisernen sowie stählernen Pfeilern und Trägern an anderen Stellen der Konstruktion gekennzeichnet.
Vom gleichen Architektenteam stammt das 1888-91 errichtete Monadnock Building, deren 16 Geschosse noch selbsttragend sind. Die innere Konstruktion wird von gusseisernen Säulen und gewalzten Trägern getragen. Man kann also festhalten, dass in Chicago, obwohl die komplette Metallkonstruktion schon erprobt war (Zweites Leiter Building), gleichzeitig noch Mischformen von selbsttragenden Mauerwerk und Skelett sowie reine Mauerwerkskonstruktionen Anwendung fanden. Es handelt sich aber beim Monadnock Building um den letzten der Hochbauten aus soliden Mauerwerk, denn aufgrund der benötigten Dicke der Mauern und der natürlich begrenzten Höhe des Gebäudes, bildete diese Konstruktionsform für die weitere Entwicklung des Hochhauses keine Lösung mehr. Der sich nach oben verjüngende Bau wird durch den Rhythmus der Erkerfenster mit den glatten Fassadenflächen bestimmt. Auffällig kompromisslos und modern anmutend ist die schmucklose Fassade. Das bis dahin freistehende Gebäude wurde von Holabird und Roche 1893 an einer Seite erweitert, allerdings benutzen sie anstelle des tragenden Mauerwerks ein verkleidetes Metallskelett.
Charles B. Atwood entwarf für Burnham & Co. 1894 den 16 Geschosse hohen Glasturm des Reliance Building, der frei von stilistischen Referenzen der Vergangenheit ist. Die Fassade ist vollständig in horizontal gelagerten Glasflächen und Erkern aufgelöst, so dass die Transparenz des Bauwerks zum entscheidenden Eindruck wird. Die Benutzung solcher extensiver Glasflächen mit wenigen, teilweise verzierten hellen Terrakottakacheln ermöglichte erst die Metallskelettkon-struktion, die auch hier Verwendung fand. Das Gebäude ist ein frühes Beispiel für die späteren Wolkenkratzer mit ihrem ganz aus Glas bestehenden curtain wall, der aus dem heutigen Bild der Großstädte nicht mehr wegzudenken ist.
Anhand dieser wenigen, aber herausragenden Beispiele der Architektur der Chicago School sollte zum einen verdeutlicht werden, wie differenziert die Architekten arbeiteten, zum anderen welche technischen Innovationen sie anwendeten. Wie wir auch an den Bauten Sullivans noch sehen werden, wurden oft überholte Konstruktiontechniken wie das selbstragende Mauerwerk neben modernen Konstruktionen wie das Metallskelett angewendet oder vermischt. Die Anwendung der alten oder neuen Konstruktionsweise muss sich aber nicht unbedingt gravierend auf die Wirkung des Baus auswirken. So wirkt beispielsweise die schlichte Fassade des Monadnock Building moderner als die reicher mit Bauschmuck versehene des Home Insurance Building, obwohl das erstere noch selbstragendes Mauerwerk aufweist, das zweite aber ein Mischform ist. Wichtig zu erkennen ist, dass es ganz unterschiedliche Stilformen innerhalb der Chicago School gibt, sie nicht kohärent ist.
Unbestritten ist der Beitrag der Chicago School zur Entwicklung des modernen Wolkenkratzers. Durch die Anwendung des Metallrahmens wurde es überhaupt erst möglich, dass man heute scheinbar unbegrenzt in die Höhe bauen kann und die curtain walls, meistens aus Glas oder Metall bestehend, entscheidend zum Aussehen der Wolkenkratzer beitragen. Neben Chicago gebührt aber auch New York ein gleichrangiger Platz auf dem Weg hin zum modernen Wolkenkratzer eines Mies van der Rohe oder Helmut Jahn.
Louis Henry Sullivan und Dankmar Adler: Vorstellung ihrer wichtigsten Bauten in Chicago
Louis Henry Sullivan ist eine der herausragenden Gestalten der Architektur des ausgehenden 19. und des beginnenden 20. Jhs. und hatte großen Einfluss auf die moderne Architektur. Er gehörte zu den Hauptvertretern der Chicago School, die sich besonders um die Entwicklung des modernen Hochhausbaus und in der Verwendung fortschrittlicher (Bau-) Konstruktionen verdient machte.Ein Echo auf Sullivans Tod 1925 erfolgte besonders in Europa (vgl. Wettbewerbsbeiträge der europäischen Architekten beim Chicago Tribune Tower Wettbewerb 1922), wohingegen seine Bedeutung in Amerika lange unterschätzt wurde, denn in den 20er Jahren dieses Jahrhunderts setzte man dort auf historisierende Stile, die Sullivan vehement bekämpft hatte (s. u. zur Weltausstellung 1893).
Die Architekten Ludwig Hilbersheimer, Bruno Taut und Siegfried Giedion sahen in Sullivan den Vorläufer einer rational begründeten Auffassung von Architektur, blendeten aber die Ornamente aus und erhoben ihre Interpretation von Sullivans berühmten Satz "form follows function" zum Dogma der modernen Architektur. In diesem Abschnitt soll es darum gehen, Sullivans Hauptwerke und die seines Partners Dankmar Adler kurz vorzustellen. Dabei werden Werke anderer Architekten der Chicago School herangezogen, um Sullivans Quellen zu verdeutlichen, aber auch das Innovative seiner Architektur herauszustellen. Soweit bei der Kürze der Darstellung möglich, werden zur Unterstützung der direkten Aussage der Bauten auch Aspekte der zahlreichen theoretischen Schriften des Architekten herangezogen.
Nach dem Architekturstudium und dem Besuch der Pariser Ecole des Beaux Arts, eröffnete der beim Begründer der Chicago School William Le Baron Jenney ausgebildete Sullivan 1881 mit seinem deutschstämmigen Partner Dankmar Adler ein Architekturbüro, das die nächsten Jahre viele wichtige Aufträge (auch in anderen amerikanischen Großstädten wie Buffalo und St. Louis) erhielt. Die bedeutensten in Chicago sind das Auditorium Building, das Schiller Building, die Chicagoer Börse und das Transportation Building für die Chicagoer Weltausstellung 1893 (s. u.). Nicht zu übersehen ist in einigen Werken Sullivans und Adlers der Einfluss von Henry Hobson Richardsons Marshall and Field Warehouse, das 1885-87 entstand. Das noch aus soliden, selbstragenden Mauerwerkswänden mit im Inneren befindlicher Skelettkonstruktion bestehende 7-stöckige Gebäude zeichnet sich durch seine geometrisch angelegte Massigkeit bzw. Blockhaftigkeit aus. Diese entsteht vor allem durch das Muster und die Anordnung der Fenster, die in den verschiedenen Stockwerken zwar verschieden hoch und geformt sind, aber immer die gleiche Breite aufweisen und durch Bögen zusammengefasst werden. Die Wirkung eines massigen Baublocks verstärken auch die bossierten Steinquader und die gemauerten Bögen der Fenster. Das Das der Romanik entlehnte Motiv des Rundbogens (der Fenster an der Fassade) machte in der Folgezeit Schule in Chicago, wie wir am Beispiel Sullivans sehen werden. Der von Adler und Sullivan 1887 errichtete Standard Club zeigt ähnliche Stilelemte wie sie bei Richardson häufig anzutreffen sind: bossierte Steinquaderung, Rundbogenfenster und Rundbogentüren, klare Abtrennung der Geschosse voneinander (horizontale Unterteilung), Abschluss des Gebäudes durch ein Gesims sowie in der Gesamtwirkung die Evokation von massiger Blockhaftigkeit.
Etwa zur gleichen Zeit beschäftigte sich das Architektengespann mit seinem größten Auftrag, der ihnen viel Popularität einbrachte, dem Auditorium Building an der Michigan Avenue, einer Mischung aus Hotel-, Büro- und Theatergebäude. An Sullivans Vorzeichnungen für den Bau und dem schließlich ausgeführten Bau lässt sich erneut Richardsons Einflussnahme feststellen. Waren die ersten Entwürfe noch stark ornamentiert und "verschnörkelt" mit vielen Türmen und Giebeln, so zeigt der ausgeführte Bau viele Merkmale des Marshall Field Warehouse. Hervorstechenstes Merkmal ist die Massigkeit und Horizontalität des riesigen Gebäudes, dem ein ein Turm entgegenwirkt. Das wuchtige bossierte Granitsteingesims verstärkt diesen Eindruck noch. Die Fensterreihen sind vertikal angeordnet und werden teilweise durch ein übergreifendes Bogenmotiv zu einer Einheit zusammengefasst. Das abschließende Mezzanin ist als Zwergumgang gestaltet. In ähnlicher Art wurde dies auch an Richardsons Bau verwirklicht. Aufgrund der Schwere des Baus und der Nähe zum Lake Michigan musste ein von Adler konstruiertes, wasserdichtes Fundament konstruiert werden. Die äußeren Wände des Gebäudes sind noch selbsttragend, was durch die Dicke der Mauern im unteren Teil des Baus verdeutlicht wird. Alle anderen konstruktiven Elemente, die innenliegenden Säulen, Träger und Binder waren aus Eisen. Das 10-geschossige Gebäude (mit 17-stöckigen Turm) steht in seiner Entwicklung zwischen den älteren Formen von Richardsons Mauerwerkskonstruktionen und den leichteren Formen der Eisenskelettkonstruktion.
Das Auditorium Theatre nimmt etwa die Hälfte der Gesamtfläche des Gebäudes ein. Es ist vor allem wegen seiner, von Adler technisch hervorragend beherrschten Akkustik bekannt. Dazu kommen aber auch noch andere herausragende technische Leistungen wie beispielsweise die komplizierte Bühnentechnik und die elektrisch verstellbaren Wände zur Verkleinerung des Raumvolumens. Auch bei diesem Mischbau taucht das Bogenmotiv immer wieder auf: an Türen und Fenstern der Fassade, in den konzentrischen Kreisen des Theatersaales, am tonnenüberwölbten Bankettsaal des Hotels. Ein Stilmerkmal der Architektur Sullivans ist beherrschend in der Innenausstattung: sein selbst entwickeltes Ornament, das Wände, Säulen, Bögen und Geländer überzieht. Wichtig anzumerken ist, das die innere Funktion des Baus an der Fassade nicht abzulesen ist. Ein von seinen Funktionen stark gegliedertes Programm (Hotel, Theater, Büros) wird in einen außen einheitlichen Rechtkantblock eingebunden, der wenig
Ornamentik aufweist.
Adler und Sullivans größter Auftrag nach dem Auditorium Building war 1893/94 die Errichtung des Chicago Stock Exchange Building, der Börse von Chicago an der North La Salle Street, die 1972 abgerissen wurde. Zwei Merkmale der Chicago School finden hier Verwendung: der Erker, der die Vertikale des Gebäudes akzentuiert und das dreiteilige Chicago window. Technisch ist der 13-geschossige Bau modern, d. h. in einer feuersicheren Standard-Stahlrahmen-Konstruktion ausgeführt. Erstmals wird an einem Bau das aus dem Brückenbau stammende Chaisson-Fundament angewandt. Wie beim Auditorium Building handelt es sich um einen multifunktionalen Bau, der die Börse und Büros beherbergen sollte. Das zweite und dritte Stockwerk der Fassade besteht Fensterarkaden, die den dahinter befindlichen doppelstöckigen Trading Room (heute rekonstruiert im Art Institute of Chicago) bereits an der Fassade sichtbar machen. Auch das rundbogige stark ornamentierte, leicht hervortretende Eingangsportal (Art Institute of Chicago) macht klar, dass das Erdgeschoss und das erste Geschoss miteinander verbunden sind und weist auf die gewölbte Decke des Eingangsvestibüls hin. Im Unterschied zum Auditorium Building finden wir bei der Börse also an der Fassade Hinweise auf die innere Raumgestaltung.Das opulente Ornament des Trading Rooms besteht aus verschiedenen ornamentalen Mustern, die anhand von Schablonen in vielen Farben aufgetragen wurden. Wenn man die "verschwenderische" Anwendung des Ornaments in Sullivans Werk betrachtet, kann man verstehen, warum diese von den Leuten ausgeblendet wurde, die Sullivan zum Propheten der modernen Architektur erhoben und die Ornamentik nicht mit seinem Ausspruch, dass die "Form der Funktion folge" in Einklang bringen konnten. Sullivan versuchte in verschiedenen theoretischen Schriften über das Ornament ("Ornament in Architecture", 1892; "A System of Architectual Ornament According with a Philosophy of Men's Power", 1924) seinen Standpunkt zu verdeutlichen. Auch er lehnt eine einfache Applikation von Ornamenten ab, wie sie beispielsweise in der historisierenden Architektur in den 1920er Jahren in Chicago angewendet wurde. Für Sullivan bedingen sich Konstruktion und Ornament gegenseitig, eines erhöht das andere und ist einzeln nicht denkbar (= "organic system of ornamentation"). Deshalb muss für jedes Gebäude ein bestimmtes System der Ornamentierung gefunden werden und die Ornamentik ist nicht unter verschiedenen Gebäudetypen austauschbar, bleibt also einzigartig.In einem weiteren Aufsatz The tall Office Building artistically considered (1896) legt Sullivan seine Vorstellungen vom Aufbau eines Bürohochhauses dar, was am 1891-93 erbauten Schiller Building praktisch nachvollzogen werden kann. Das Gebäude beherbergte das Schiller Theater und Büro- und Clubräume. Ein 17-Stockwerke hoher Turm wird von beiden Seiten von 9-stöckigen Flügeln flankiert, deren obere sieben Etagen nicht an den Hauptturm anstoßen. Im hinteren Teil des Gebäudes befindet sich ein 14-stöckiger Flügel. Der Gebäudeaufbau verdeutlicht Sullivans "Dreiteilungstheorie", die einem Säulenaufbau mit Basis, durchgehendem Schaft und Kapitell entspricht. In seinem bereits erwähnten Aufsatz differenziert Sullivan seine Ausführungen. Seiner Meinung nach muss das Bürohochhaus eine klar differenzierte Geschossunterteilung aufweisen. Vereinfacht gesagt, muss es ein Untergeschoss zur Unterbringung elektrischer Anlagen, ein ebenerdiges Geschoss, das deutlich als Eingangsbereich gekennzeichnet ist, darüber eine Anzahl von gleichförmigen Stockwerken für Büros und als Abschluss ein Attikageschoss vorhanden sein. Diese Aufteilung soll das Haupcharakteristikum des Bürohochhauses, das "in-die-Höhe-streben" (loftiness) versinnbildlichen. Das Schiller Building erfüllt diese Anforderungen. Der mehrstöckige Eingangsbereich wird durch eine Art Loggia und die Ornamentierung hervorgeheben. Durch die Zusammenfassung von 14 eher schlicht gehaltenen Stockwerken und vertikalen Fensterreihen durch einen Rundbogen wird die Höhe des Gebäudes betont. Bekrönt und abgeschlossen wird der Bau durch ein Attikageschoss mit Zwerggalerie sowie ein stark hervortretendes Gesims, beide durch Sullivans Ornamentik hervorgehoben.
Beim Carson, Pirie, Scott & Company Store, das in mehreren Bauetappen von 1899 bis 1906 errichtet wurde, handelt es sich um den letzten großen Auftrag Sullivans (in Chicago) und um eine der Manifestationen moderner Architektur sowie um eines der Spätwerke der Chicago School. Allgemein gesprochen ist das Warenhaus eine Erscheinung des Industriezeitalters, d. h. es gab keine Vorbilder in der Vergangenheit. Seinen Ursprung hat die Geschichte des Warenhauses in Europa, genauer gesagt in Paris. Das Magasin au Bon Marché wird oft als das erste Warenhaus der Welt angesehen (1876). Es ist ein Werk des Ingenieurs Gustave Eiffel und des Architektien L. A. Boileau. Die Ecken des Gebäudes waren pavillonartig ausgestaltet. Diese Anregung sollte Sullivan im Carson, Pirie & Scott-Warenhaus übernehmen. Die riesigen Warenhäuser, die in den späten 80er Jahren des 19. Jhs. in Chicago gebaut wurden, führten mit ihren großen durchgehenden Bodenflächen den Lagerhaustyp weiter. Etwa zwischen 1890 und 1915 entstanden entlang der State Street die großen Warenhäuser. Die Straße wurde zur lebhaftesten des Landes. Wesentliche Veränderungen gab es 1893 durch zwei Bauten Jenneys: dem zweiten Leiter-Building und dem Fair Store. Als Sullivans Gebäude vollendet war, übertraf es in der Höhe die anderen Gebäude der Umgebung um das doppelte und evozierte schon dadurch eine immense Wirkung. Das Zentrum Chicagos war aufgrund seiner enormen Dichte (um 1900) in den Immobilienpreisen weltweit führend, bei der Errichtung von den Gebäuden kam es deshalb auf Konzentration und Höhe an, um die Rentabilität des Gebäudes zu wahren.Der erste Teil des Baus an der Madison Street war ein neunstöckiger Stahlskelettbau. Metallarbeiten umrahmen die unteren Stockwerke, während die oberen mit glasierter Terrakotta verkleidet waren. Drei Jahre später fertigte Sullivan Pläne für einen 12-stöckigen Anbau an der State und Madison Street an. Der Eisen- und Stahlrahmen wurde in sehr kurzer Zeit errichtet, um die finanziellen Einbußen durch den Geschäftsausfall möglichst gering zu halten. Dieser Bau ist besonders prägnant durch die rundbogige Ecklösung des Eingangsbereiches.Die zwei Stockwerke hohe Basis und der rundbogige Eckeingang des Gebäudes bestehen aus (Guss-) Eisen mit vegetabilen Ornamenten, die entweder von Sullivan oder seinem Mitarbeiter Elmslie entworfen wurden. Sie sind der Blickpunkt des Gebäudes. Große Schaufenster, wichtig für die Repräsentation der Waren und das Hereinlassen von Tageslicht, ziehen sich wie ein Band am Bau entlang. Das Metallskelett gibt dem Bau sein Aussehen, denn erst durch das Skelett war es überhaupt möglich, solch große Fensterflächen einzusetzen. Ein technischer Kniff wurde mit dem Einbau von "Luxfer prismatic glass" über dem normalen Fensterglas erreicht: Es lenkte das natürliche Licht auch in die hinteren Gebäudeteile und konnte zur Belüftung geöffnet werden. Die über der Basis gelegenen Stockwerke mit Terrakottaverkleidung werden nach oben hin kleiner und zeichnen sich durch Klarheit und Srenge aus. Bestimmend für das Aussehen des Baus ist das horizontale Chicago window, das dem gesamten Bau einen horizontalen Charakter gibt, während die runde Eckausbildung mit vertikalen Fenstern und hervortretenden, vertikalen schmalen Rippen einen vertikalen Akzent setzt. Das gesamte Gebäude wird durch den Metallskelettrahmen bestimmt.
Die scharf in die Fassade eingeschnittenen Fenster haben, von außen kaum sichtbar, umlaufende schmale Ornamentstreifen aus Terrakotta. Der Bau wurde von einer Attika mit Loggia und dahinter liegenden Fenstern bekrönt. Das schmale Gesims trat leicht hervor. Dieser obere Abschluss des Gebäudes wurde inzwischen verändert. Das Innere des Kaufhauses folgte mit seinen durchgehenen, ununterbrochenen Ladenflächen noch dem Lagerhaustyp. Beim Fundament handelt es sich um eine Chaisson-Gründung. Ab 1904 wurde ein weiterer Anbau von Burnham & Co. hinzugefügt, 1960-61 von Holabird & Root.
An den vorgestellten Baubeispielen konnte verdeutlicht werden, dass Sullivan um die Einheit eines Gebäudes rang. Dieser einheitliche Baugedanke lief jedoch weder auf einen rigorosen Ausdruck der Konstruktion noch auf eine dekorierte Konstruktion hinaus. Er beruht weder auf klassischen Idealen noch auf der Unterordnung konstruktiver Aspekte. Wie wir gesehen haben, war Sullivan alles andere als ein reiner Funktionalist, denn er machte starken Gebrauch des von ihm entwickelten Ornaments. Auch die Deckungsgleichheit von Innen und Außen, von Konstruktion und Fassade war ihm kein Dogma. Die Konstruktion des Eisenskeletts mit der Architektur zu einem einheitlichen Ausdruck zu vereinen war der Verdienst der Architekten der Chicago School, in der Sullivan eine bedeutende Stellung einnahm. Wie bereits erwähnt, existierte die Chicago School am Ende des Ersten Weltkriegs nicht mehr. Wolkenkratzer gaben jetzt vor etwas anderes zu sein als nur funktionale Gebäude. So finden sich "Renaissancepaläste", "gotische Kathedralen" (vgl. Raymond Hoods Chicago Tribune Tower von 1922) , "atztekische Stufentempel" etc. Das wofür Sullivan gekämpft hatte, nämlich das Aussehen des Baus den Erfordernissen der Funktion anzupassen und nicht tradierte Stilelemente auf das traditionslose Hochhaus anzuwenden, war vergessen. Die Dekoration Sullivan entstand organisch aus dem Bau heraus, oder wie Sullivans Schüler Frank Lloyd Wright ausdrückte, seine Dekoration sei "of the thing, not on it."
Die Weltausstellung von 1893 in Chicago: Endpunkt der Avantgarde-Architektur in der Stadt
Den Architekten der Chicago School kommt der Verdienst zu, die Konstruktionsweise des Metallskeletts zur Grundlage einer modernen Ästhetik gemacht zu haben. Ornamente haben in diesem Zusammenhang keine tektonische Aufgabe mehr, sondern dienen nur noch zur Ausschmückung des Gebäudes. Vorausgreifend ist zu sagen, dass das Ende der Chicago School mit der Weltausstellung von 1893 ihren Anfang nahm. In den 1920er Jahren ist eine Rückwendung zum tradierten Vokabular des Historismus und der europäischen "Beaux-Arts-Bewegung" zu beobachten. Die Chicago School hatte ihre Vorangstellung in der Stadt verloren.Die wichtigsten Bauten der Chicago School werden vorgestellt und erläutert werden, bevor im nächsten Abschnitt das Werk Sullivans in Chicago vorgestellt wird. Der als Ingenieur ausgebildete William Le Baron Jenney eröffnete 1868 ein Architekturbüro in Chicago, das die Lehrwerkstatt der Chicago School werden sollte. Architekten wie Sullivan, Roche, Holabird und Burnham erhielten hier ihre künftige Ausbildung. Als erstes Gebäude der Chicago School wird das 1879 gebaute Erste Leiter Building Jenneys betrachtet. Es handelt sich um ein ursprünglich fünfstöckiges, später siebenstöckiges Warenhaus. Auf den ersten Blick kann man den Käfig des Eisengerüsts erkennen: große Fensteröffnungen (Vorläufer des Chicago window) und schmale Mauerwerkspfeiler, die zwar von ihrer deckentragenden Funktion befreit waren, aber noch immer die eisernen Brüstungsbalken bzw. Träger trugen. Auf der Innenseite der Mauerwerkpfeiler wurden Eisenpilaster angebracht, um die hölzernen Deckenträger zu stützen. Das Gebäude weist nur wenige Ornamente im oberen Bereich der Mauerwerkpfeiler und am leicht hervortretenden Gesims auf. Insgesamt ist eine einheitliche, klare Gliederung des Baus zu beobachten, der durch den durchgehenden Rhythmus von breiten Fensterbändern und schmalen Pfeilern und Brüstungen entsteht. Bereits am Ende des 19. Jhs. wird die Direktheit und Simplizität der späteren modernen Hochhäuser vorweggenommen.
Das Zweite Leiter Building, von Jenney 1889-91 erbaut, war ein riesiger rechteckiger Warenhausbau aus weißem Granit. Es handelt sich um die früheste Lösung des großen Skelettbaus, an dem es keine selbstragenden Mauern gab. Der Rahmen wird zum unverdeckten Mittel des Ausdrucks. In seiner strukturellen Ökonomie ist dieses Warenhaus ein Musterbeispiel des commercial style in Chicago. Es gibt fast keine Verzierungen. Zusammengehalten wird der Bau durch die an den Gebäudeecken plazierten wuchtigen Pfeiler. Die vertikalen Fenster werden von für Jenney typischen Säulen voneinander getrennt, auf jeweils zwei dreiteilige Fensterkompartimente erfolgt ein Pilaster. Durchgängig durchgehalten entsteht so die rhythmische Gliederung des Baus, ähnlich wie beim Ersten Leiter Building. Beim letzteren wird die Basis und das abschließende Gesims weniger betont als beim später errichteten Bau.Bevor das erste Gebäude mit einem vollkommenen Metallskelett (Zweites Leiter Building) errichtet werden konnte, versuchte sich Jenney auch in der Mischkonstruktion von selbstraggenden Mauern und Metallskelett. Zwischen dem Ersten Leiter Building und dem Zweiten Leiter Building entstand 1883-85 das Home Insurance Building, ein Bürohochhaus. Die Innen- und Außenwände wurden durch einen Rahmen aus Gusseisen und Stahl getragen. Diese Metallskelettkonstruktion setzte aber erst über der grob behauenen Steinbasis des 9-stöckigen, später 11-stöckigen Gebäudes an. Im Vergleich mit dem Ersten und Zweiten Leiter Building ist das Home Insurance Building weniger klar und streng struktuiert. Ein Eingangsrisalit mit Säulen, die hervortretende bossierte wuchtige Basis, verzierte Kapitelle, Brüstungen, Balkone und ein abschließendes Gesims mit Balustrade zerstreuen die Struktur und lassen die klare, unverschnörkelte Architektur der Leiter-Warenhäuser vermissen.
Gegenüber dem inzwischen abgerissenen Home Insurance Building liegt noch heute das 1886-91 Rookery Building, das von einem erfolgreichen Architektenteam der Chicago School, Burnham & Root erbaut wurde und als Bürogebäude konzipiert wurde. Es ist in der in Chicago eher seltenen fast quadratischen Blockform mit in der Mitte liegenden glasüberdachten Innenhof, der 1905 von Frank Lloyd Wright umgestaltet wurde, gebaut. Vielleicht wurde dieser Lichthof von Warenhausbauten in Europa und Amerika inspiriert. Einige stilistische Elemente erinnern an die Architektur Richardsons (s. u.) , aber auch an Jenneys Home Insurance Building. Mit den exotischen Backstein- und Terrakottaverzierungen wandte man sich ab vom Pragmatismus der Chicago School, der beispielsweise Jenney Leiter-Gebäude kennzeichnete. Bautechnisch ist die Rookery in einer Mischtechnik von tragenden Mauerwerkswänden an der Fassade und gusseisernen sowie stählernen Pfeilern und Trägern an anderen Stellen der Konstruktion gekennzeichnet.
Vom gleichen Architektenteam stammt das 1888-91 errichtete Monadnock Building, deren 16 Geschosse noch selbsttragend sind. Die innere Konstruktion wird von gusseisernen Säulen und gewalzten Trägern getragen. Man kann also festhalten, dass in Chicago, obwohl die komplette Metallkonstruktion schon erprobt war (Zweites Leiter Building), gleichzeitig noch Mischformen von selbsttragenden Mauerwerk und Skelett sowie reine Mauerwerkskonstruktionen Anwendung fanden. Es handelt sich aber beim Monadnock Building um den letzten der Hochbauten aus soliden Mauerwerk, denn aufgrund der benötigten Dicke der Mauern und der natürlich begrenzten Höhe des Gebäudes, bildete diese Konstruktionsform für die weitere Entwicklung des Hochhauses keine Lösung mehr. Der sich nach oben verjüngende Bau wird durch den Rhythmus der Erkerfenster mit den glatten Fassadenflächen bestimmt. Auffällig kompromisslos und modern anmutend ist die schmucklose Fassade. Das bis dahin freistehende Gebäude wurde von Holabird und Roche 1893 an einer Seite erweitert, allerdings benutzen sie anstelle des tragenden Mauerwerks ein verkleidetes Metallskelett.
Charles B. Atwood entwarf für Burnham & Co. 1894 den 16 Geschosse hohen Glasturm des Reliance Building, der frei von stilistischen Referenzen der Vergangenheit ist. Die Fassade ist vollständig in horizontal gelagerten Glasflächen und Erkern aufgelöst, so dass die Transparenz des Bauwerks zum entscheidenden Eindruck wird. Die Benutzung solcher extensiver Glasflächen mit wenigen, teilweise verzierten hellen Terrakottakacheln ermöglichte erst die Metallskelettkon-struktion, die auch hier Verwendung fand. Das Gebäude ist ein frühes Beispiel für die späteren Wolkenkratzer mit ihrem ganz aus Glas bestehenden curtain wall, der aus dem heutigen Bild der Großstädte nicht mehr wegzudenken ist.
Anhand dieser wenigen, aber herausragenden Beispiele der Architektur der Chicago School sollte zum einen verdeutlicht werden, wie differenziert die Architekten arbeiteten, zum anderen welche technischen Innovationen sie anwendeten. Wie wir auch an den Bauten Sullivans noch sehen werden, wurden oft überholte Konstruktiontechniken wie das selbstragende Mauerwerk neben modernen Konstruktionen wie das Metallskelett angewendet oder vermischt. Die Anwendung der alten oder neuen Konstruktionsweise muss sich aber nicht unbedingt gravierend auf die Wirkung des Baus auswirken. So wirkt beispielsweise die schlichte Fassade des Monadnock Building moderner als die reicher mit Bauschmuck versehene des Home Insurance Building, obwohl das erstere noch selbstragendes Mauerwerk aufweist, das zweite aber ein Mischform ist. Wichtig zu erkennen ist, dass es ganz unterschiedliche Stilformen innerhalb der Chicago School gibt, sie nicht kohärent ist.
Unbestritten ist der Beitrag der Chicago School zur Entwicklung des modernen Wolkenkratzers. Durch die Anwendung des Metallrahmens wurde es überhaupt erst möglich, dass man heute scheinbar unbegrenzt in die Höhe bauen kann und die curtain walls, meistens aus Glas oder Metall bestehend, entscheidend zum Aussehen der Wolkenkratzer beitragen. Neben Chicago gebührt aber auch New York ein gleichrangiger Platz auf dem Weg hin zum modernen Wolkenkratzer eines Mies van der Rohe oder Helmut Jahn.
Louis Henry Sullivan und Dankmar Adler: Vorstellung ihrer wichtigsten Bauten in Chicago
Louis Henry Sullivan ist eine der herausragenden Gestalten der Architektur des ausgehenden 19. und des beginnenden 20. Jhs. und hatte großen Einfluss auf die moderne Architektur. Er gehörte zu den Hauptvertretern der Chicago School, die sich besonders um die Entwicklung des modernen Hochhausbaus und in der Verwendung fortschrittlicher (Bau-) Konstruktionen verdient machte.Ein Echo auf Sullivans Tod 1925 erfolgte besonders in Europa (vgl. Wettbewerbsbeiträge der europäischen Architekten beim Chicago Tribune Tower Wettbewerb 1922), wohingegen seine Bedeutung in Amerika lange unterschätzt wurde, denn in den 20er Jahren dieses Jahrhunderts setzte man dort auf historisierende Stile, die Sullivan vehement bekämpft hatte (s. u. zur Weltausstellung 1893).
Die Architekten Ludwig Hilbersheimer, Bruno Taut und Siegfried Giedion sahen in Sullivan den Vorläufer einer rational begründeten Auffassung von Architektur, blendeten aber die Ornamente aus und erhoben ihre Interpretation von Sullivans berühmten Satz "form follows function" zum Dogma der modernen Architektur. In diesem Abschnitt soll es darum gehen, Sullivans Hauptwerke und die seines Partners Dankmar Adler kurz vorzustellen. Dabei werden Werke anderer Architekten der Chicago School herangezogen, um Sullivans Quellen zu verdeutlichen, aber auch das Innovative seiner Architektur herauszustellen. Soweit bei der Kürze der Darstellung möglich, werden zur Unterstützung der direkten Aussage der Bauten auch Aspekte der zahlreichen theoretischen Schriften des Architekten herangezogen.
Nach dem Architekturstudium und dem Besuch der Pariser Ecole des Beaux Arts, eröffnete der beim Begründer der Chicago School William Le Baron Jenney ausgebildete Sullivan 1881 mit seinem deutschstämmigen Partner Dankmar Adler ein Architekturbüro, das die nächsten Jahre viele wichtige Aufträge (auch in anderen amerikanischen Großstädten wie Buffalo und St. Louis) erhielt. Die bedeutensten in Chicago sind das Auditorium Building, das Schiller Building, die Chicagoer Börse und das Transportation Building für die Chicagoer Weltausstellung 1893 (s. u.). Nicht zu übersehen ist in einigen Werken Sullivans und Adlers der Einfluss von Henry Hobson Richardsons Marshall and Field Warehouse, das 1885-87 entstand. Das noch aus soliden, selbstragenden Mauerwerkswänden mit im Inneren befindlicher Skelettkonstruktion bestehende 7-stöckige Gebäude zeichnet sich durch seine geometrisch angelegte Massigkeit bzw. Blockhaftigkeit aus. Diese entsteht vor allem durch das Muster und die Anordnung der Fenster, die in den verschiedenen Stockwerken zwar verschieden hoch und geformt sind, aber immer die gleiche Breite aufweisen und durch Bögen zusammengefasst werden. Die Wirkung eines massigen Baublocks verstärken auch die bossierten Steinquader und die gemauerten Bögen der Fenster. Das Das der Romanik entlehnte Motiv des Rundbogens (der Fenster an der Fassade) machte in der Folgezeit Schule in Chicago, wie wir am Beispiel Sullivans sehen werden. Der von Adler und Sullivan 1887 errichtete Standard Club zeigt ähnliche Stilelemte wie sie bei Richardson häufig anzutreffen sind: bossierte Steinquaderung, Rundbogenfenster und Rundbogentüren, klare Abtrennung der Geschosse voneinander (horizontale Unterteilung), Abschluss des Gebäudes durch ein Gesims sowie in der Gesamtwirkung die Evokation von massiger Blockhaftigkeit.
Etwa zur gleichen Zeit beschäftigte sich das Architektengespann mit seinem größten Auftrag, der ihnen viel Popularität einbrachte, dem Auditorium Building an der Michigan Avenue, einer Mischung aus Hotel-, Büro- und Theatergebäude. An Sullivans Vorzeichnungen für den Bau und dem schließlich ausgeführten Bau lässt sich erneut Richardsons Einflussnahme feststellen. Waren die ersten Entwürfe noch stark ornamentiert und "verschnörkelt" mit vielen Türmen und Giebeln, so zeigt der ausgeführte Bau viele Merkmale des Marshall Field Warehouse. Hervorstechenstes Merkmal ist die Massigkeit und Horizontalität des riesigen Gebäudes, dem ein ein Turm entgegenwirkt. Das wuchtige bossierte Granitsteingesims verstärkt diesen Eindruck noch. Die Fensterreihen sind vertikal angeordnet und werden teilweise durch ein übergreifendes Bogenmotiv zu einer Einheit zusammengefasst. Das abschließende Mezzanin ist als Zwergumgang gestaltet. In ähnlicher Art wurde dies auch an Richardsons Bau verwirklicht. Aufgrund der Schwere des Baus und der Nähe zum Lake Michigan musste ein von Adler konstruiertes, wasserdichtes Fundament konstruiert werden. Die äußeren Wände des Gebäudes sind noch selbsttragend, was durch die Dicke der Mauern im unteren Teil des Baus verdeutlicht wird. Alle anderen konstruktiven Elemente, die innenliegenden Säulen, Träger und Binder waren aus Eisen. Das 10-geschossige Gebäude (mit 17-stöckigen Turm) steht in seiner Entwicklung zwischen den älteren Formen von Richardsons Mauerwerkskonstruktionen und den leichteren Formen der Eisenskelettkonstruktion.
Das Auditorium Theatre nimmt etwa die Hälfte der Gesamtfläche des Gebäudes ein. Es ist vor allem wegen seiner, von Adler technisch hervorragend beherrschten Akkustik bekannt. Dazu kommen aber auch noch andere herausragende technische Leistungen wie beispielsweise die komplizierte Bühnentechnik und die elektrisch verstellbaren Wände zur Verkleinerung des Raumvolumens. Auch bei diesem Mischbau taucht das Bogenmotiv immer wieder auf: an Türen und Fenstern der Fassade, in den konzentrischen Kreisen des Theatersaales, am tonnenüberwölbten Bankettsaal des Hotels. Ein Stilmerkmal der Architektur Sullivans ist beherrschend in der Innenausstattung: sein selbst entwickeltes Ornament, das Wände, Säulen, Bögen und Geländer überzieht. Wichtig anzumerken ist, das die innere Funktion des Baus an der Fassade nicht abzulesen ist. Ein von seinen Funktionen stark gegliedertes Programm (Hotel, Theater, Büros) wird in einen außen einheitlichen Rechtkantblock eingebunden, der wenig
Ornamentik aufweist.
Adler und Sullivans größter Auftrag nach dem Auditorium Building war 1893/94 die Errichtung des Chicago Stock Exchange Building, der Börse von Chicago an der North La Salle Street, die 1972 abgerissen wurde. Zwei Merkmale der Chicago School finden hier Verwendung: der Erker, der die Vertikale des Gebäudes akzentuiert und das dreiteilige Chicago window. Technisch ist der 13-geschossige Bau modern, d. h. in einer feuersicheren Standard-Stahlrahmen-Konstruktion ausgeführt. Erstmals wird an einem Bau das aus dem Brückenbau stammende Chaisson-Fundament angewandt. Wie beim Auditorium Building handelt es sich um einen multifunktionalen Bau, der die Börse und Büros beherbergen sollte. Das zweite und dritte Stockwerk der Fassade besteht Fensterarkaden, die den dahinter befindlichen doppelstöckigen Trading Room (heute rekonstruiert im Art Institute of Chicago) bereits an der Fassade sichtbar machen. Auch das rundbogige stark ornamentierte, leicht hervortretende Eingangsportal (Art Institute of Chicago) macht klar, dass das Erdgeschoss und das erste Geschoss miteinander verbunden sind und weist auf die gewölbte Decke des Eingangsvestibüls hin. Im Unterschied zum Auditorium Building finden wir bei der Börse also an der Fassade Hinweise auf die innere Raumgestaltung.Das opulente Ornament des Trading Rooms besteht aus verschiedenen ornamentalen Mustern, die anhand von Schablonen in vielen Farben aufgetragen wurden. Wenn man die "verschwenderische" Anwendung des Ornaments in Sullivans Werk betrachtet, kann man verstehen, warum diese von den Leuten ausgeblendet wurde, die Sullivan zum Propheten der modernen Architektur erhoben und die Ornamentik nicht mit seinem Ausspruch, dass die "Form der Funktion folge" in Einklang bringen konnten. Sullivan versuchte in verschiedenen theoretischen Schriften über das Ornament ("Ornament in Architecture", 1892; "A System of Architectual Ornament According with a Philosophy of Men's Power", 1924) seinen Standpunkt zu verdeutlichen. Auch er lehnt eine einfache Applikation von Ornamenten ab, wie sie beispielsweise in der historisierenden Architektur in den 1920er Jahren in Chicago angewendet wurde. Für Sullivan bedingen sich Konstruktion und Ornament gegenseitig, eines erhöht das andere und ist einzeln nicht denkbar (= "organic system of ornamentation"). Deshalb muss für jedes Gebäude ein bestimmtes System der Ornamentierung gefunden werden und die Ornamentik ist nicht unter verschiedenen Gebäudetypen austauschbar, bleibt also einzigartig.In einem weiteren Aufsatz The tall Office Building artistically considered (1896) legt Sullivan seine Vorstellungen vom Aufbau eines Bürohochhauses dar, was am 1891-93 erbauten Schiller Building praktisch nachvollzogen werden kann. Das Gebäude beherbergte das Schiller Theater und Büro- und Clubräume. Ein 17-Stockwerke hoher Turm wird von beiden Seiten von 9-stöckigen Flügeln flankiert, deren obere sieben Etagen nicht an den Hauptturm anstoßen. Im hinteren Teil des Gebäudes befindet sich ein 14-stöckiger Flügel. Der Gebäudeaufbau verdeutlicht Sullivans "Dreiteilungstheorie", die einem Säulenaufbau mit Basis, durchgehendem Schaft und Kapitell entspricht. In seinem bereits erwähnten Aufsatz differenziert Sullivan seine Ausführungen. Seiner Meinung nach muss das Bürohochhaus eine klar differenzierte Geschossunterteilung aufweisen. Vereinfacht gesagt, muss es ein Untergeschoss zur Unterbringung elektrischer Anlagen, ein ebenerdiges Geschoss, das deutlich als Eingangsbereich gekennzeichnet ist, darüber eine Anzahl von gleichförmigen Stockwerken für Büros und als Abschluss ein Attikageschoss vorhanden sein. Diese Aufteilung soll das Haupcharakteristikum des Bürohochhauses, das "in-die-Höhe-streben" (loftiness) versinnbildlichen. Das Schiller Building erfüllt diese Anforderungen. Der mehrstöckige Eingangsbereich wird durch eine Art Loggia und die Ornamentierung hervorgeheben. Durch die Zusammenfassung von 14 eher schlicht gehaltenen Stockwerken und vertikalen Fensterreihen durch einen Rundbogen wird die Höhe des Gebäudes betont. Bekrönt und abgeschlossen wird der Bau durch ein Attikageschoss mit Zwerggalerie sowie ein stark hervortretendes Gesims, beide durch Sullivans Ornamentik hervorgehoben.
Beim Carson, Pirie, Scott & Company Store, das in mehreren Bauetappen von 1899 bis 1906 errichtet wurde, handelt es sich um den letzten großen Auftrag Sullivans (in Chicago) und um eine der Manifestationen moderner Architektur sowie um eines der Spätwerke der Chicago School. Allgemein gesprochen ist das Warenhaus eine Erscheinung des Industriezeitalters, d. h. es gab keine Vorbilder in der Vergangenheit. Seinen Ursprung hat die Geschichte des Warenhauses in Europa, genauer gesagt in Paris. Das Magasin au Bon Marché wird oft als das erste Warenhaus der Welt angesehen (1876). Es ist ein Werk des Ingenieurs Gustave Eiffel und des Architektien L. A. Boileau. Die Ecken des Gebäudes waren pavillonartig ausgestaltet. Diese Anregung sollte Sullivan im Carson, Pirie & Scott-Warenhaus übernehmen. Die riesigen Warenhäuser, die in den späten 80er Jahren des 19. Jhs. in Chicago gebaut wurden, führten mit ihren großen durchgehenden Bodenflächen den Lagerhaustyp weiter. Etwa zwischen 1890 und 1915 entstanden entlang der State Street die großen Warenhäuser. Die Straße wurde zur lebhaftesten des Landes. Wesentliche Veränderungen gab es 1893 durch zwei Bauten Jenneys: dem zweiten Leiter-Building und dem Fair Store. Als Sullivans Gebäude vollendet war, übertraf es in der Höhe die anderen Gebäude der Umgebung um das doppelte und evozierte schon dadurch eine immense Wirkung. Das Zentrum Chicagos war aufgrund seiner enormen Dichte (um 1900) in den Immobilienpreisen weltweit führend, bei der Errichtung von den Gebäuden kam es deshalb auf Konzentration und Höhe an, um die Rentabilität des Gebäudes zu wahren.Der erste Teil des Baus an der Madison Street war ein neunstöckiger Stahlskelettbau. Metallarbeiten umrahmen die unteren Stockwerke, während die oberen mit glasierter Terrakotta verkleidet waren. Drei Jahre später fertigte Sullivan Pläne für einen 12-stöckigen Anbau an der State und Madison Street an. Der Eisen- und Stahlrahmen wurde in sehr kurzer Zeit errichtet, um die finanziellen Einbußen durch den Geschäftsausfall möglichst gering zu halten. Dieser Bau ist besonders prägnant durch die rundbogige Ecklösung des Eingangsbereiches.Die zwei Stockwerke hohe Basis und der rundbogige Eckeingang des Gebäudes bestehen aus (Guss-) Eisen mit vegetabilen Ornamenten, die entweder von Sullivan oder seinem Mitarbeiter Elmslie entworfen wurden. Sie sind der Blickpunkt des Gebäudes. Große Schaufenster, wichtig für die Repräsentation der Waren und das Hereinlassen von Tageslicht, ziehen sich wie ein Band am Bau entlang. Das Metallskelett gibt dem Bau sein Aussehen, denn erst durch das Skelett war es überhaupt möglich, solch große Fensterflächen einzusetzen. Ein technischer Kniff wurde mit dem Einbau von "Luxfer prismatic glass" über dem normalen Fensterglas erreicht: Es lenkte das natürliche Licht auch in die hinteren Gebäudeteile und konnte zur Belüftung geöffnet werden. Die über der Basis gelegenen Stockwerke mit Terrakottaverkleidung werden nach oben hin kleiner und zeichnen sich durch Klarheit und Srenge aus. Bestimmend für das Aussehen des Baus ist das horizontale Chicago window, das dem gesamten Bau einen horizontalen Charakter gibt, während die runde Eckausbildung mit vertikalen Fenstern und hervortretenden, vertikalen schmalen Rippen einen vertikalen Akzent setzt. Das gesamte Gebäude wird durch den Metallskelettrahmen bestimmt.
Die scharf in die Fassade eingeschnittenen Fenster haben, von außen kaum sichtbar, umlaufende schmale Ornamentstreifen aus Terrakotta. Der Bau wurde von einer Attika mit Loggia und dahinter liegenden Fenstern bekrönt. Das schmale Gesims trat leicht hervor. Dieser obere Abschluss des Gebäudes wurde inzwischen verändert. Das Innere des Kaufhauses folgte mit seinen durchgehenen, ununterbrochenen Ladenflächen noch dem Lagerhaustyp. Beim Fundament handelt es sich um eine Chaisson-Gründung. Ab 1904 wurde ein weiterer Anbau von Burnham & Co. hinzugefügt, 1960-61 von Holabird & Root.
An den vorgestellten Baubeispielen konnte verdeutlicht werden, dass Sullivan um die Einheit eines Gebäudes rang. Dieser einheitliche Baugedanke lief jedoch weder auf einen rigorosen Ausdruck der Konstruktion noch auf eine dekorierte Konstruktion hinaus. Er beruht weder auf klassischen Idealen noch auf der Unterordnung konstruktiver Aspekte. Wie wir gesehen haben, war Sullivan alles andere als ein reiner Funktionalist, denn er machte starken Gebrauch des von ihm entwickelten Ornaments. Auch die Deckungsgleichheit von Innen und Außen, von Konstruktion und Fassade war ihm kein Dogma. Die Konstruktion des Eisenskeletts mit der Architektur zu einem einheitlichen Ausdruck zu vereinen war der Verdienst der Architekten der Chicago School, in der Sullivan eine bedeutende Stellung einnahm. Wie bereits erwähnt, existierte die Chicago School am Ende des Ersten Weltkriegs nicht mehr. Wolkenkratzer gaben jetzt vor etwas anderes zu sein als nur funktionale Gebäude. So finden sich "Renaissancepaläste", "gotische Kathedralen" (vgl. Raymond Hoods Chicago Tribune Tower von 1922) , "atztekische Stufentempel" etc. Das wofür Sullivan gekämpft hatte, nämlich das Aussehen des Baus den Erfordernissen der Funktion anzupassen und nicht tradierte Stilelemente auf das traditionslose Hochhaus anzuwenden, war vergessen. Die Dekoration Sullivan entstand organisch aus dem Bau heraus, oder wie Sullivans Schüler Frank Lloyd Wright ausdrückte, seine Dekoration sei "of the thing, not on it."
Die Weltausstellung von 1893 in Chicago: Endpunkt der Avantgarde-Architektur in der Stadt
Die von John Wellborn Root und Daniel Burnham geplante "World's Columbian Exhibition" fand von Mai bis Oktober im Süden der Stadt (in Seenähe) statt. Die "White City" war als Idealstadt angelegt und ist ein Beispiel der City-Beautiful-Bewegung. Betont wurde die städtebauliche Perspektive entlang der Straßenflucht, einer mit der Landschaft eng verbundenen Architektur mit aufeinander abgestimmten Dachgesimsen.
Das Herz der künstlichen Stadt bestand aus einem Ehrenhof, um den herum Gebäude mit derselben Höhe (60 Fuß) angelegt waren. Gleichförmigkeit wurde nicht nur durch die Gebäudehöhe erzielt, sondern auch durch die Architektur selbst. Fast durchweg handelte es sich um Repräsentationsbauten in klassizistischer Formensprache. Dahinter verbarg sich eine radikale Funktionalismuskritik. Die Planer der Ausstellung entlehnten ihren Schönheitsbegriff der französischen Académie des Beaux Arts. Nur Sullivans und Adlers Transportation Building fiel aus dem Rahmen der "White City". Es rehabilitierte keinen klassischen oder neugotischen Stil oder versuchte, einen Marmorbau zu imitieren. Die riesige Ausstellungsfläche wurde von flachen Wänden mit umlaufenden Bogenfenstern und polychromer Ornamentik umschlossen. Das erfolgreichste Element des Gebäudes aber war die "Goldene Tür" aus fünffach nach hinten gestaffelten stark ornamentierten Halbkreisen, einem in der Architektur Sullivans immer wiederkehrenden Motiv. Wegen der Reichheit seiner Dekoration wurde Sullivan sofort als großer Ornamentalist anerkannt, im gleichen Zug aber als Architekt verkannt. Sullivan sah bereits das Ende seiner Bestrebungen und die der Chicago School nach funktionellen Hochhäusern ohne tradierten historisierenden Bauschmuck voraus.
Tatsächlich aber wurde mit dieser Ausstellung deutlich, dass Sullivans Vorstellungen von Architektur keine Nachfolger oder Schüler gefunden hatte. Sein Einfluss war dahingeschmolzen, seine Unpopularität (in Amerika) als Architekt nahm hier ihren Anfang. Deutlich wird diese Tatsache auch an der Zahl der Aufträge, die in der Folgezeit an Sullivan vergeben wurden. Zwischen 1880 und 1885 entwarf er mehr als 100 Gebäude, die restlichen 30 Jahre seines Lebens nur noch 20. Sullivan musste dem dem historisierenden Architekturstil am Anfang des Jahrhunderts weichen, der 1922 im Wettbewerb um den Chicago Tribune Tower gipfelte, den Raymond Hood mit seinem gotisierenden Bau für sich entschied und damit genau den veränderten Zeitgeschmack traf.
Das Herz der künstlichen Stadt bestand aus einem Ehrenhof, um den herum Gebäude mit derselben Höhe (60 Fuß) angelegt waren. Gleichförmigkeit wurde nicht nur durch die Gebäudehöhe erzielt, sondern auch durch die Architektur selbst. Fast durchweg handelte es sich um Repräsentationsbauten in klassizistischer Formensprache. Dahinter verbarg sich eine radikale Funktionalismuskritik. Die Planer der Ausstellung entlehnten ihren Schönheitsbegriff der französischen Académie des Beaux Arts. Nur Sullivans und Adlers Transportation Building fiel aus dem Rahmen der "White City". Es rehabilitierte keinen klassischen oder neugotischen Stil oder versuchte, einen Marmorbau zu imitieren. Die riesige Ausstellungsfläche wurde von flachen Wänden mit umlaufenden Bogenfenstern und polychromer Ornamentik umschlossen. Das erfolgreichste Element des Gebäudes aber war die "Goldene Tür" aus fünffach nach hinten gestaffelten stark ornamentierten Halbkreisen, einem in der Architektur Sullivans immer wiederkehrenden Motiv. Wegen der Reichheit seiner Dekoration wurde Sullivan sofort als großer Ornamentalist anerkannt, im gleichen Zug aber als Architekt verkannt. Sullivan sah bereits das Ende seiner Bestrebungen und die der Chicago School nach funktionellen Hochhäusern ohne tradierten historisierenden Bauschmuck voraus.
Tatsächlich aber wurde mit dieser Ausstellung deutlich, dass Sullivans Vorstellungen von Architektur keine Nachfolger oder Schüler gefunden hatte. Sein Einfluss war dahingeschmolzen, seine Unpopularität (in Amerika) als Architekt nahm hier ihren Anfang. Deutlich wird diese Tatsache auch an der Zahl der Aufträge, die in der Folgezeit an Sullivan vergeben wurden. Zwischen 1880 und 1885 entwarf er mehr als 100 Gebäude, die restlichen 30 Jahre seines Lebens nur noch 20. Sullivan musste dem dem historisierenden Architekturstil am Anfang des Jahrhunderts weichen, der 1922 im Wettbewerb um den Chicago Tribune Tower gipfelte, den Raymond Hood mit seinem gotisierenden Bau für sich entschied und damit genau den veränderten Zeitgeschmack traf.
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