Reisetipp: "Pack die Badehose ein ... und dann nischt wie raus nach Wannsee!"

Ein Spaziergang in der ehemaligen Villenkolonie Alsen am Wannsee

Von Claudia Simone Hoff

Um 1870 entstand am Wannsee eine beeindruckende Kulturlandschaft mit repräsentativen Villen und prächtig gestalteten Gartenanlagen. Berlin war zum führenden Industriestandort Europas geworden und reiche Bankiers, Unternehmer und zuweilen auch Künstler stellten ihren Reichtum und kultivierten Lebensstil in großbürgerlichen Villenbauten und Kunstsammlungen zur Schau. Darunter befinden sich so berühmte Namen wie von der Heydt, Langenscheidt, Springer, von Siemens etc. Sie alle zogen im Sommer von der Stadt aufs Land – mit ihrem gesamten Hausrat, einschließlich der Hausangestellten und Kunstsammlungen. Um das Gebiet am Wannsee mit der Stadt Berlin zu verbinden, wurde 1874 die Bahnverbindung Potsdam – Wannsee – Berlin eröffnet, im Volksmund wurden die Züge „Bankierszüge“ genannt.

Der Wannsee ist auch heute noch eine vornehme Wohngegend und beliebter Ausflugsort der Berliner. Am einfachsten erreicht man ihn mit der S-Bahn und steigt am Bahnhof Wannsee aus. Wir wollen einen kleinen Spaziergang in der ehemaligen Villenkolonie Alsen unternehmen und dort die Villenarchitektur der Jahrhundertwende besichtigen. Wir lassen die an der Ostseite des Wannsees gelegene Villenkolonie Wannsee (heute die Straße Am Sandwerder) rechterhand liegen, gehen zu Fuß über die Wannseebrücke und biegen dann rechts in die Straße Am Großen Wannsee ein (Hinweisschilder beachten!), die von herrlichen Villenbauten gesäumt wird. Auch wenn der heutige Blick von modernen Bauten etwas getrübt wird, ist die Straße Am Großen Wannsee mit ihrer beeindruckenden Architekturkulisse sicherlich eine der am schönsten gelegenen Berlins, denn die bewaldeten Seegrundstücke geben den Blick auf die Wasserlandschaft frei. Die Straße beginnt an der Königsstraße, verläuft parallel am See entlang, bis sie in einer Sackgasse an der Straße Zum Heckeshorn endet. Von 1888 bis 1933 hieß sie allerdings Große Seestraße. Der etwa 2,6 km² große und bis zehn Meter tiefe Große Wannsee ist ein Arm der Havel mit Verbindung zum Kleinen Wannsee und Pohlesee bis zum Griebnitzsee.

Der Bankier Wilhelm Conrad war 1863 der erste Bauherr, der ein riesiges Grundstück am Großen Wannsee erwarb. Er hatte die Idee, eine Anhäufung von Villen zu einem Gesamtkunstwerk zu vereinen. So ließ er durch den Berliner Gartenbaudirektor und Lenné-Schüler Gustav Meyer einen Straßen- und Parzellierungsplan erstellen, den sogenannten Conradschen Plan. Die neue Siedlung wurde „Colonie Alsen“ genannt. Conrads Villa Alsen war die erste, die dort errichtet wurde. Es folgten weitere, von denen einige auf dem folgenden Rundgang besucht und angeschaut werden. Die wenigsten lassen sich besichtigen, da sie privat genutzt werden, doch die Villa Liebermann und die ehemalige Villa Marlier (heute Haus der Wannsee-Konferenz) bilden die Ausnahmen. In ihnen lässt sich großbürgerliche Lebensart um die Jahrhundertwende auch heute noch nachvollziehen. Die Bewohnerstruktur der Villenkolonie war durch die deutsche Geschichte, besonders den Zweiten Weltkrieg und die darauffolgende Teilung Berlins, starken Wechseln unterlegen. Viele der ehemaligen Bewohner waren Juden, die von den Nationalsozialisten enteignet, verfolgt und teilweise ermordet wurden.

Auf der linken Seite der Straße (Nr. 39 – 41) liegt etwas versteckt hinter Bäumen das Haus Springer, das 1901 – 1903 von Alfred Messel erbaut wurde. Bauherr dieser schönen Villa mit Gewächshäusern, Gärtner- und Teehaus sowie einer Gartenhalle war der Verleger Ferdinand Springer, der mit seinem Bruder das Unternehmen zu einem führenden Wissenschafts- und Technikverlag ausbaute. Architekt Messel, der u. a. das im Krieg zerstörte Kaufhaus Wertheim am Leipziger Platz in Berlin-Mitte erbaute, schuf ein Landhaus mit Merkmalen der englischen Landhausarchitektur des 19. Jahrhunderts. Rauh belassene Natursteine für den Sockel des Hauses sowie Holzschindeln für Giebel, Brüstungen und Dach sind die hauptsächlich verwendeten Baumaterialien. Um eine zentrale Diele herum sind verschiedene Räume angeordnet. Eine Halle geht direkt auf den Garten zu, der als englischer Miniaturpark konzipiert wurde. Die Architektur zeichnet sich durch eine einfache, klare und moderne Formensprache aus, die später von Hermann Muthesius weiterentwickelt wurde.

Wir folgen der Straße und treffen auf der rechten Seite auf zwei Villen, die bis 1969 als Krankenhaus fremdgenutzt wurden: in der Nr. 40 das Haus Hamspohn, das 1906 von Paul Baumgarten für den Mitbegründer der AEG Johann Hamspohn errichtet wurde, links daneben ebenfalls etwas zurückgesetzt die Liebermann-Villa, einst Sommerhaus des Malers Max Liebermann (1847 – 1935). Dieser war Gründungsmitglied der „Berliner Secession“ und Präsident der Preußischen Akademie der Künste. Der Ehrenbürger der Stadt Berlin gilt er als einer der Wegbereiter der modernen deutschen Malerei. Neben seinem inzwischen rekonstruierten Wohnhaus am Pariser Platz, verbrachte der bereits zu Lebzeiten hochgeschätzte Maler die Sommer mit seiner Familie in dieser Sommerresidenz. Der Garten breitet sich auf einer Fläche von etwa 7.000 m2 zum Wannsee und zur Straße hin aus. Die Gestaltung des Gartens ist für die Entwicklung der Gartenbaukunst des 20. Jahrhunderts außergewöhnlich hoch einzuschätzen: Unter Leitung des Kunsthistorikers Alfred Lichtwark wurden erstmalig Elemente eines städtischen Hausgartens mit denen eines bäuerlichen Nutzgartens verbunden. Liebermann arbeitete aktiv an der Gestaltung des Gartens, der als Idealtypus eines reformorientierten Architekturgartens bezeichnet werden kann, mit. Der Garten wird, genau wie die Villa, zurzeit detailgetreu rekonstruiert.

Liebermann fühlte sich mit seinem Land- und Sommersitz inniglich verbunden. Das beweisen nicht nur viele Briefe, sondern auch Hunderte von künstlerischen Arbeiten, v. a. Gemälde, auf denen die Villa und der Garten als Sujet im Mittelpunkt stehen und die beim Publikum breiten Anklang fanden. Außerdem fertigte er Skizzen und Porträts seiner illustren Nachbarn in der Villenkolonie an. 1940, fünf Jahre nach dem Tod ihres Mannes, musste die Witwe Liebermanns das Haus zwangsweise an die Nationalsozialisten verkaufen, es folgte der Verfall und die Umnutzung. 1987 wurde das Anwesen unter Denkmalschutz gestellt, 2002 hat die Max Liebermann Gesellschaft e. V. das Anwesen übernommen und versucht die Restaurierung voranzutreiben. Zur Zeit befindet sich in der Villa eine Dokumentation zum Leben Liebermanns und eine Dauerausstellung über die Villenkolonien am Wannsee.

Links neben der Villa Liebermann liegt das vom Architekten Bodo Ebhardt erbaute Haus der Verlegerfamilie Langenscheidt, eines der wenigen, das sich auch heute noch im Besitz der Erbauerfamilie befindet. Die Villa wirkt durch ihre Fachwerkarchitektur weniger pompös als die anderen Gebäude in dieser Straße.

Nach dem Besuch der Liebermann Villa kann man sich in dieser Straße noch über ein dunkles Kapitel deutscher Geschichte informieren. Am Ende der Straße (Nr. 56 – 58) liegt auf der rechten Seite die heutige Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz, ehemals Villa Marlier, in dem 1942 die Ermordung von etwa 11 Millionen Juden beschlossen wurde.

Der Industrielle Ernst Marlier ließ in den Jahren 1914 / 15 durch den Architekten und Messel-Schüler O. A. Baumgarten, der bereits die Häuser von Hamspohn und Liebermann geplant hatte, diese hochherrschaftliche und luxuriöse Villa inmitten eines riesigen Gartens errichten. 1940 geriet die Villa in die Hände der Nationalsozialisten, weil Friedrich Minoux, seit 1921 Besitzer der Villa, sie an die SS-Stiftung Nordhav veräußerte. Fortan wurde sie als Gästehaus für den Sicherheitsdienst (SD) genutzt. Am 20.01.1942 wurde im ehemaligen Speisezimmer des Hauses, unter der Leitung von Reinhard Heydrich, Chef des Reichssicherheitshauptamtes, und unter Teilnahme von hochrangigen Vertretern der NSDAP, SS und verschiedenen Ministerin die Vernichtung der europäischen Juden beschlossen. Das von Adolf Eichmann angefertigte Protokoll dieser Konferenz wurde 1947 in den Akten des Auswärtigen Amtes gefunden und kann in der Ausstellung betrachtet werden.

Im Inneren der ehemaligen Villa wurde 1992, zum 50. Jahrestag der Wannsee-Konferenz, eine Gedenk- und Bildungsstätte eingerichtet. Hier finden nicht nur Veranstaltungen statt, auch eine Fachbibliothek, Mediothek und eine Ausstellung mit Bild- und Texttafeln sowie Tondokumenten zur Verfolgung, Ausgrenzung und Vernichtung des jüdischen Volkes ergänzen das Programm. Wenn man sich in die wunderbare, denkmalgeschützte Gartenanlage der Villa begibt und von der zum Wannsee hin gelegenen großen Terrasse auf die andere Seite des Sees sieht, erblickt man dort das Strandbad Wannsee, das 1929 bis 1930 nach Plänen von Martin Wagner und Richard Ermisch errichtet wurde. Wagner, Stadtbaurat in Berlin, ist es zu verdanken, dass Berlin in den 20er Jahren zu einem führenden Zentrum der modernen Architektur avancierte und zu einem städtebaulichen Hauptzentrum der Weimarer Republik wurde. Einige Beispiele berühmter Architekten wie Gropius oder Mies van der Rohe werden wir an anderer Stelle dieser Publikation sehen.

Am Ende der Straße Am Großen Wannsee endet der Spaziergang in der ehemaligen Villenkolonie Alsen. Auf dem Rückweg zum S-Bahnhof bietet sich noch die Besichtigung des Grabmals von Heinrich von Kleist und Henriette Vogel an der Uferböschung des Kleinen Wannsees (Bismarckstraße bei Haus Nr. 3) oder der ehemaligem Villenkolonie Wannsee Am Sandwerder an. Der Rundgang ab dem S-Bahnhof Wannsee dauert mit Besichtigung der Villa Liebermann und dem Haus der Wannsee-Konferenz etwa 3,5 Stunden.

Links:

Max-Liebermann-Gesellschaft e. V. / Villa Liebermann
http://www.max-liebermann.de/PWP/(S(gy2gms55ovfjihji0d3ov4zc))/DesktopDefault.aspx?TabID=1

Haus der Wannsee-Konferenz
http://www.ghwk.de/

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