Reisetipp: Die Versuchssiedlung "Im Fischtal" in Berlin-Zehlendorf oder der "Zehlendorfer Dächerkrieg"

Von Claudia Simone Hoff

Gesamtleitung: Heinrich Tessenow
Architekten: Paul Emmerich, Paul Mebes, Hans Poelzig u. a.
Baujahr: 1928 – 1929
Adresse:
Am Fischtal
Berlin-Zehlendorf
Privathäuser und -wohnungen

Da nach dem Ersten Weltkrieg in Berlin Wohnungsnot herrschte, stellte die Schaffung von günstigem Wohnraum ein wichtiges politisches Ziel dar. Gleichzeitig wurden gemeinnützige Bauträger gegründet. Die Siedlungen wurden außerhalb des Berliner S-Bahn-Rings errichtet, weil dort kostengünstige, große Grundstücke zur Verfügung standen. Zwischen 1924 und 1930 wurden in Berlin 140.000 neue Wohnungen gebaut, was bedeutet, dass die Zahl der Wohnungen zwischen 1920 und 1933 massiv erhöht wurde. Licht, Luft und Sonne für alle – so könnte das Motto dieser Siedlungen gewesen sein.

In den 1920er Jahren war Berlin ein Laboratorium der modernen Architektur, viele der dort ansässigen Architekten sollten später zu Weltruhm gelangen. Experimentiert wurde mit verschiedenen architektonischen Stilen: Die Neue Sachlichkeit war ebenso vertreten wie der Expressionismus, Gartenstadt-Modelle oder die Klassische Moderne. Große Reformprojekte wurden im Siedlungsbau in Berlin verwirklicht. Neben den zwei hier in diesem Führer vorgestellten Projekte beispielsweise noch die Wohnstadt „Carl Legien“ von Bruno Taut in Weißensee, die Ringsiedlung von Walter Gropius in Siemensstadt und die Hufeisensiedlung von Bruno Taut und Stadtbaurat Martin Wagner in Britz.

Die Siedlung „Am Fischtal“ grenzt unmittelbar an die neusachliche Großsiedlung Onkel-Toms-Hütte an, bietet aber mit seiner Heimatstil-Architektur ein ganz anderes Bild. Statt Architektur des Neuen Bauens mit Flachdächern, Fensterbändern, kubischen Formen, neuartigen Baumaterialien und Farben als Gestaltungsmittel, dominiert hier das Satteldach, Fenstersprossen, Klappläden und Holzpergolen, so dass für den heutigen Betrachter die Häuser älter als in Onkel-Toms-Siedlung wirken, obwohl sie erst einige Jahre später errichtet wurden. Womit wir bei einer wichtigen Architekturdebatte am Anfang des 20. Jahrhunderts wären: der Streit über die Verwendung von Flach- bzw. Steildächern – an diesen beiden Siedlungen wird er anschaulich und geht als „Zehlendorfer Dächerkrieg“ in die Geschichte ein. Dabei galt das Flachdach als dem modernen Architekturstil angemessen, Satteldächer hingegen als eher rückständig.

Auftraggeber der Siedlung war die „Gemeinnützige AG für Angestellten-Heimstätten“ (Gagfah). Insgesamt wurden 120 Wohnungen errichtet. Hier entstand eine Art kleinbürgerliche Idylle, wie sie auch heute noch vielerorts zu finden ist, einschließlich Pergolen, Klappläden und Sprossenfenstern. Die Eröffnung der Siedlung fand 1928 anlässlich der Ausstellung „Bauen und Wohnen“ statt. Der Besucher konnte damals komplett eingerichtete Wohnungen besichtigen. Beide Siedlung, sowohl „Am Fischtal“ als auch „Onkel-Toms-Hütte“ sind baulich in einem hervorragenden Zustand und bis auf wenige Ausnahmen im Originalzustand erhalten.

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