Ausstellungstipp: Istanbul Alphabet







[Fotos: C. Hoff; Anna Pannekoek; Museum der Dinge]

ISTANBUL ALPHABET
von çokçok bis zikzak
Sonderausstellung im Museum der Dinge, Berlin
17. Februar – 9. April 2012

çokçok (vielviel) ist ein türkischer Ausdruck und steht für den unstillbaren Hunger nach mehr. Die Ausstellung ISTANBUL ALPHABET - von çokçok bis zikzak lässt sich ganz auf die Besonderheit des Museum der Dinge ein: die Erforschung der alltäglichen Sachkultur.

Im Mittelpunkt steht die çokçok-Sammlung, die die Kuratoren der Ausstellung - Max Borka und Anna Pannekoek - während eines 100tägigen Istanbul-Aufenthaltes angelegt haben. Diese Sammlung hat sich zum einen aus den Dingen und Eingriffen entwickelt, die die Designer und Künstler in der Wohnung der Kuratoren in Istanbul hinterlassen haben. Zum anderen besteht sie aus Objekten, Geräuschen und Bildern, die Anna Pannekoek während ihrer Streifzüge durch die Stadt zusammengetragen hat, auf eine situationistische, eine Istanbuler Art: umherschweifend, gelenkt von der Intuition und vom Zufall.

"Es geht nicht um die Suche nach hochwertigen Designer- oder Markenprodukten, sondern um Objekte, die am anderen Ende der Hierarchie angesiedelt sind: Alltagsprodukte, die es seit einer Ewigkeit zu geben scheint, ohne dass sie jemals viel Aufmerksamkeit erhalten haben. Selbstverständlich sind auch diese Objekte gestaltet worden, aber nicht von nur einer Person. Von Generation zu Generation haben Nutzer die Dinge an ihre Bedürfnisse angepasst und umgeformt. Selbst wenn viele dieser Objekte verglichen mit und gemessen am offiziellen Regelwerk des Designs als hässlich, ordinär und banal gelten, kann man doch ihre Schönheit nicht leugnen. Sie sind Ausdruck eines kollektiven Bewusstseins, ausgestattet mit einem unglaublichen Reichtum.

Man findet diese Gegenstände überall, aber besonders in großen Städten und ganz besonders in Istanbul, weil sie eine wesentliche Rolle im Leben der Istanbuler selbst spielen, als Überlebensmittel. Istanbul ist zum weltweiten Modell der selbstorganisierten Stadt geworden, in der Millionen nicht registrierte Einwohner ihr Leben Tag für Tag neu erfinden müssen, dafür stellen diese Objekte eine große Hilfe dar."

Die Ausstellung wird ergänzt durch Arbeiten von Künstlern, wie Nezaket Ekici und Objekte der aufstrebenden zeitgenössischen Istanbuler Design-Szene. Dabei gehen die Methoden und Formen dieses Designs in die gleiche Richtung wie die anonymen Alltagsdinge der çokçok-Sammlung. Darin wird erkennbar, was in der westlichen Design-Szene verloren gegangen ist: zum Beispiel Etwas aus Nichts zu erfinden, ad-hoc Lösungen zu entwickeln, zu improvisieren.

ISTANBUL ALPHABET ist der zweite Teil einer Ausstellungsreihe über Istanbul; jeder Teil erscheint in immer neuen Formen. Herausfordernd und überraschend und dabei in hohem Maße unterhaltsam, bewegt sich die Ausstellung im Museum der Dinge zwischen Essay und Enzyklopädie, schnellem Schnappschuss und 3-Minuten-Song. Ganz im Sinne des Museums als einem Ort der Verhandlung werden die Kuratoren die Besucher in der Ausstellung empfangen, zum Tee einladen und mit ihnen über Istanbul, die mittlerweile größte Stadt Europas, debattieren. Als Bindeglied zwischen Asien und Europa hat sie es immer geschafft, Gegensätze zu überbrücken, die unvereinbar schienen, wie z.B. Ost und West oder religiös und säkular. [Text: Museum]

http://www.museumderdinge.de