Lesetipp: Zur Psychologie des Geldes
Von Georg Simmel (1858)
[...] Es ist indes interessant, wie dieses psychologische Abbrechen der teleologischen Reihe nicht nur an der unmittelbaren Geldgier und dem Geize hervortritt, sondern auch an seinem scheinbaren Gegenteil, dem Vergnügen am bloßen Geldausgeben als solchem, endlich an der Freude am Besitz möglichst vieler' Dinge, von deren specifischer Nützlichkeit, um derentwillen sie hergestellt sind, man gar nicht profitiert, sondern die man eben nur »haben« will; [...] Hierin haben wir die Stufen des teleologischen Prozesses: vernünftiger Endzweck ist doch nur der Genuß aus dem Gebrauch des Gegenstandes; die Mittel dazu sind: 1. daß man Geld habe, 2. daß man es ausgebe, 3. daß man den Gegenstand besitze; an jeder dieser drei Stationen kann das Zweckbewußtsein Halt machen und sie als Selbstzweck konstituieren [...].
Auf der Stufe, wo das Geld zum Selbstzweck auswächst, kann es als solcher noch verschiedene Grade der psychologischen Selbständigkeit zeigen. Durch die den größten Teil des Lebens hindurch bestehende Nötigung, den Gewinn von Geld als nächstes Strebeziel vor Augen zu haben, kann wohl der Glaube entstehen, daß alles Glück und alle definitive Befriedigung des Lebens mit dem Besitz einer gewissen Summe Geldes verbunden wäre; [...] so tritt die Erscheinung tödlicher Langenweile und Enttäuschung ein, die so häufig an Geschäftsleuten zu beobachten ist, wenn sie sich nach Ersparung einer gewissen Summe in ein Rentierleben zurückgezogen haben; sie wissen mit dem größeren Geldbesitze nun nichts anzufangen, und das Geld enthüllt sich [...] in seinem wahren Charakter als bloßes Mittel, das unnütz und unbefriedigend wird, sobald das Leben darauf allein angewiesen ist.
[...] Diese ganze Kontroverse, ob das Geld selbst ein Wert sei oder nur das Symbol eines Wertes, ein reiner Durchgangspunkt für Güter, ohne selbst ein Gut zu sein, und ob, wenn es jetzt noch ein solches wäre, es das auch bleiben müsse, - scheint mir, sobald sie prinzipiell und dogmatisch gehalten ist, eine erstaunliche Vernachlässigung entscheidender psychologischer Momente aufzuweisen. Denn die Gegner des Zeichengeldes [...] vergessen, daß die Werte, denen das Geld als Maßstab dienen soll, doch nur psychologisch wertvoll sind, daß es gar keinen objektiven Wert im absoluten Sinne giebt, sondern nur dadurch, daß der Wille der Menschen den betreffenden Gegenstand begehrt, an dem der Wert sowenig als eine objektive Eigenschaft haftet wie an dem Sonnenschein das Wohlgefühl, das er in bestimmt organisierten Nerven hervorruft. Dann aber hat jeder Gegenstand den Wert, der ihm beigelegt wird, und wenn nur eine hinreichende Übereinstimmung in der Beilegung des Wertes erzielbar wäre, so ist nicht abzusehen, weshalb nicht ein Stück gestempeltes Papier, das durch keinen greifbareren Wert gedeckt wäre, für alle Zeiten einen bestimmten Tauschwert haben soll, - nicht als würde ihm damit eine Eigenschaft objektiven Wertes verliehen, die es nun anderen so qualifizierten Gegenständen gleichstellte, sondern weil auch diese durch keinen anderen Prozeß als eben den des menschlichen Willens zu Werten geworden sind.
Weder Nahrung noch Obdach, weder Kleidung noch edle Metalle sind an und für sich Werte, sondern sie werden es erst im psychologischen Prozeß ihrer Schätzung, wie die Fälle beweisen, in denen die Askese oder andere Seelenverfassungen völlig gleichgültig gegen sie machten. Will man das Zeichengeld selbst dann, wenn sein Tauschwert ein allseitig acceptierter ist, dennoch nicht als Geldwert anerkennen, so begeht man damit den gleichen Fehler, wie jener wirtschaftliche Idealismus, der als »Gut« nur das anerkennen wollte, was einem wahren Bedürfnisse entspricht, aber nicht das, was überflüssige oder zu mißbilligende befriedigt, und der ebenfalls übersah, daß alle Wertverleihung nur eine psychologische Thatsache und nichts anderes ist und deshalb, wo sie als solche vorkommt, einfach anerkannt werden muß. Es sind genug Gründe vorhanden, die die Bindung des Geldwertes an die edlen Metalle wünschenswert und unentbehrlich, genug Ursachen, die die Bedingungen für ein Zeichengeld unerfüllbar machen; allein prinzipiell liegt nicht der geringste Grund vor, weshalb nicht ein beliebiges Symbol für das Geld genau die gleichen Dienste als Wertmesser und Tauschmittel leisten soll wie Gold und Silber, sobald nur die Übertragung des Wertbewußtseins auf jenes in vollkommenem Maße stattgefunden hat, was durch den Prozeß der psychologischen Emporhebung der Mittel zur Würde des Endzwecks sehr wohl möglich ist und auf anderen Gebieten hundertfach stattfindet.
[...] Die Blasiertheit unserer wohlhabenden Stände hängt damit zusammen; wenn das Geld so zum Generalnenner aller möglichen Lebenswerte wird, wenn nicht mehr die Frage ist, was sie wert sind, sondern wieviel sie wert sind, so verringert sich ihre Individualität. Durch die Möglichkeit des Vergleichens an einem indifferenten und allen gleichmäßig zugänglichen Maßstabe verlieren sie das Interesse, das sich an das Specifische und Unvergleichbare knüpft. Für den Blasierten giebt es nichts, was ihm unbezahlbar dünkte, und umgekehrt, wer alles meint mit Geld bezahlen zu können, muß notwendig blasiert werden. Wenn jener Charakter der Allgemeingültigkeit des psychologischen Endzwecks vielfach nur den Gegenstand wertvoll erscheinen läßt, der viel Geld kostet, so begreift man doch auch gerade aus ihm, daß für gewisse Naturen nur das einen Wert hat, was für Geld nicht zu haben ist; dies ist nicht eine Umkehrung, sondern eine Steigerung jener psychologischen Folge des Geldverkehrs.
[...] Jene gerade in unserer Epoche so gewachsene Indifferenz des Geldes, deren Folge auch die Indifferenz der Gegenstände ist, zeichnet sich recht an jenen Warengeschäften, die sich dadurch charakterisieren, daß alle Waren in ihnen denselben Preis haben; hier ist das Entscheidende, das, was von vornherein den Käufer bestimmen soll und den Zweck des Geschäfts enthält, eben nicht die Ware in ihrer Eigentümlichkeit, sondern die Bestimmtheit des dafür aufzuwendenden Preises; immer mehr tritt das specifische Quäle vor dem Quantum zurück, nach dem allein gefragt wird; wovon denn die begreifliche Folge ist, daß immer mehr Dinge unter Vernachlässigung ihrer Qualität nur gekauft werden, weil sie billig sind. Eben dasselbe psychologische Wesen des Geldes bewirkt aber auch die entgegengesetzte Erscheinung, daß viele Dinge geschätzt und gesucht werden, gerade weil sie viel Geld kosten; die bloße Thatsache, daß der Gegenstand nur um den bestimmten Preis zu haben ist, verschafft ihm in den Augen vieler seine Schätzung. Dadurch ergiebt sich vielfach ein Zirkel in der Wertbestimmung: läßt der Anbietende den Preis sinken, so sinkt auch die Wertschätzung der Ware und dies drückt nun den Preis noch weiter herab.
[...] Wenn man, in elegischem wie in sarkastischem Tone, ausgesprochen hat, daß das Geld der Gott unserer Zeit wäre, so sind in der That bedeutsame psychologische Beziehungen zwischen beiden scheinbar so entgegengesetzten Vorstellungen aufzufinden. Der Gottesgedanke hat sein tieferes Wesen darin, daß alle Mannigfaltigkeiten der Welt in ihm zur Einheit gelangen, [...] daß alle Gegensätzlichkeiten und Unversöhntheiten der Welt in ihm ihre Ausgleichung und Vereinheitlichung finden, stammt der Frieden und die Sicherheit, zugleich aber auch die verdichtete Fülle der mitschwebenden Vorstellungen, die wir in der Vorstellung Gottes finden. Die psychologische Ähnlichkeit ihrer mit der des Geldes ist nach dem Vorhergegangenen klar. Das tertium comparationis ist das Gefühl von Ruhe und Sicherheit, das gerade der Besitz von Geld im Gegensatz zu allem sonstigen Besitz gewährt und das psychologisch demjenigen entspricht, welches der Fromme in seinem Gott findet; in beiden Fällen ist es die Erhebung über das Einzelne, die wir in dem ersehnten Objekt finden, das Zutrauen in die Allmacht des höchsten Prinzips, uns dieses Einzelne und Niedrigere in jedem Augenblick gewähren, sich sozusagen wieder in dieses umsetzen zu können. Gerade wie Gott in der Form des Glaubens, so ist das Geld in der Form des Konkreten die höchste Abstraktion, zu der die praktische Vernunft aufgestiegen ist.
Aus: http://gutenberg.spiegel.de/simmel/psychoge/psychoge.htm [hier gekürzt]
Kommentare
"Erst wenn der letzte Baum gefällt, der letzte Fluss vergiftet und der letzte Fisch gefangen ist, werdet ihr merken, dass man Geld nicht essen kann..." & "Geld regiert die Welt
>>> Geld zu haben ist schön, es befreit, es ermöglicht Dinge zu tun, Dinge zu kaufen die man haben möchte, um etwas tun zu können, um sich mit anderen gleichzustellen, um anzugeben und und und. Aber irgendwann hat das alles ein Ende.
Oder doch nicht? Start Trek macht es vor ;-) Es gibt kein Geld mehr und alle arbeiten für die Erforschung der Unendlichen Weiten ;-)
Aber bis dahin ist noch ein langer Weg und Geld ist und bleibt ein notwendiges Übel zum Leben und zum Überleben. Geld teilt die Menschheit in zwei Gruppen, diejenigen die es haben und sich so ziemlich alles leisten können was sie haben wollen und auf der anderen Seite zu diejenigen die im Müll kramen um den Tag zu überleben.
Geld wird deutlich überbewertet und leider in einem sehr hohen Maße für alle möglichen Dinge mißbraucht.
Da gefällt mir der Star Trek Gedanke schon besser...