Neonbeleuchtet
Sie ging über einen Bürgersteig mit tiefen Löchern, sah einen Rollstuhlfahrer mitten auf der Autobahn und durch ein Fenster konnte sie ein Pappmaché-Skelett erspähen. Sie aber hatte etwas anderes vor und lief weiter, während ihre weißen Kniestrümpfe nach unten rutschten. An einer neonlichtbeleuchteten Bäckerei an der Ecke Progreso/ Mexicaltzingo machte sie Halt. Ihre kleine bestickte rosarote Lederbörse in der Hand, besah sie sich die Auslage, presste die Stirn an die Scheibe. Dahinter lauter zuckrig-klebrige, kunterbunte Köstlichkeiten. Zierrat überall, inmitten von staubigen Holzregalen, vor gesprungenen Mauerwänden. Manch einer hätte sich vielleicht erschreckt, sie jedoch sah voller Entzücken darauf. Auf den farbig dekorierten Schädeln war in kunstvoller Schrift Pedro, Maria, Isabel und Javier graviert. So einen wollte sie haben und Großmama Esperanza noch heute Abend bringen. Oder doch lieber ein schokoladiges Etwas, das sich bei näherem Hinsehen als Miniatursarg entpuppte? Sie ging hinein und schloss die halbblinde Tür hinter sich. Fast fühlte sie sich der Ohnmacht nahe ob so viel unwiderstehlicher Gerüche. Das Marzipan hatte es ihr ganz besonders angetan. Und die grellgrünen Blüten aus Zuckerguss auf dem wohlgeformten Schädel. Großmama Esperanza würde sie lieben und vielleicht noch einmal sprechen zu ihr. Nach einer Weile hatte sie sich entschieden: der da, der sollte es sein. Hastig lief sie zurück über den holprigen Bürgersteig, ganz hinauf – die Papiertüte in der einen, die kleine bestickte rosarote Lederbörse in der anderen Hand. Außer Atem raschelten tausende von gelben Papierblüten unter ihren Füßen und sie fühlte, dass sie Großmama Esperanza immer näher kam. Auf dem Friedhof oben am Berg spielte sie schon, die Musik. Und forderte auf zum Tanz mit den Toten.
[C. Hoff]